Knight 02 - Stuermisches Begehren
stand, genauer gesagt am Verladekai in Lambeth. Er sah ei- ne Bootslaterne durch den Nebel auf sich zukommen; sie warf einen schwachen Lichtschein auf die stumpfschwarze Flussoberfläche.
Auf die Minute pünktlich.
Er zog den Zylinder ins Gesicht, froh um den Degen, der in seinem Spazierstock verborgen war. Die Lagerhäuser, Brauereien und Sägewerke ringsum ragten still und dunkel auf. Allmählich konnte er die Masten und Fischnetze auf dem Boot ausmachen. Als es schließlich am Dock festmach-
te, fuhr er sich nervös mit der Zunge über die Lippen, ver- suchte aber seine Unruhe hinter einem breiten Lächeln zu verbergen.
Es verging ihm wieder, als aus den nebligen Schatten eine riesige Silhouette auftauchte. Der Mann, der da im Bug des Bootes stand, eine Zigarre zwischen den Lippen, maß fast zwei Meter und wog bestimmt an die hundertzehn Kilo. Lie- ber Himmel. Die Zigarre glühte in der Finsternis auf. Dann geriet das ganze Boot ins Schwanken, als der Hüne behände an Land sprang und sich den Seesack über die mächtigen Schultern warf.
Rollo schluckte, als der blonde Riese unausweichlich auf ihn zugehinkt kam. Irgendwie riss Rollo sich zusammen und trat aufrecht auf den Franzosen zu. Das fröhliche Grinsen klebte ihm nun aus lauter Angst noch im Gesicht. „Monsieur Bardou, nehme ich an?“
Der Riese bedachte ihn mit einem höhnischen Blick. Seine Augen waren blassblau, starr und gemein. Rollo verbeugte sich. „Ich bin Rollo Greene, Sir. Unsere geschätzten Freunde aus Virginia haben mich zu Ihrer Unterstützung geschickt.“ Bardou betrachtete Rollos Stock, als wüsste er genau, dass sich darin eine Waffe verbarg. Dieser Umstand schien ihn nicht zu beunruhigen. Er nahm die Zigarre aus dem Mund, stieß eine Rauchwolke aus und warf den Stummel auf den Kai.
„Haben Sie meine Papiere?“ fragte er mit flacher, rauer Stimme. Sein französischer Akzent trat deutlicher hervor, als Rollo erwartet hatte.
Er hatte schon gehört, dass Bardou von Bauern abstamm- te, in den Wirren der Französischen Revolution aufgestiegen war und sich eine leidliche Bildung angeeignet hatte. Und die reicht hoffentlich, um die Manieren eines Gentleman nachzuahmen, dachte Rollo – vor allem die eines deutschen Gentlemans. Die englische Aristokratie war zum Glück leichtgläubig, vor allem wenn man vorgab, mit dem alten preußischen Kriegshelden Blücher verwandt zu sein.
„Alles in Ordnung, Sir. Wenn Sie in die Kutsche steigen möchten, werde ich Sie in Ihr Hotel bringen. Ich habe eine Suite im Pulteney für Sie gemietet, das ist das beste Hotel in ganz London. Auch der Zar hat während seines Staatsbe- suchs letzten Sommer dort gewohnt.“
Bardou schaute ihn misstrauisch an, musterte dann die Kutsche und blickte hinein, bevor er einstieg.
„Seltsames Gefühl, sich auf Feindesboden zu bewegen, nicht wahr?“ meinte Rollo in fließendem Französisch, als die Kutsche anfuhr. Er zog eine Flasche Wein und zwei Gläser hervor, goss ein und reichte Bardou ein Glas. „Aus Ihrer Hei- mat. Ich habe ihn Ihnen zu Ehren mitgebracht. Trinken Sie ruhig“, drängte er lächelnd. „Unsere Freunde in Virginia wären kaum erfreut, wenn ich Sie vergiften wollte, Monsieur Bardou. Ich stehe Ihnen zu Diensten.“
Skeptisch nahm Bardou das Glas und wartete darauf, dass Rollo zuerst trank. „Sie haben alles für meine Tarnung ar- rangiert?“
„In der Tat, Sir! Sie treten als Baron Karl von Dannecker aus Preußen auf. Ich habe einen jungen Mann mit guten Ver- bindungen gefunden, der bereit ist, Sie in die höchsten Krei- se einzuführen.“
„Geld?“
„Auf der Bank. Alles ist arrangiert.“
Eine lange Weile blickte Bardou aus dem Fenster. „Und meine Sophia“, sagte er schließlich sanft, „ist sie noch in London?“
„Ich habe sie vor einer Woche in Vauxhall gesehen, schön wie eh und je“, seufzte Rollo.
„Was ist dieses Vauxhall?“ erkundigte sich Bardou ernst.
„Ein Vergnügungspark am Fluss. Dort gibt es ein Theater, Tanz, Feuerwerke. Ich zeige es Ihnen. Höchst amüsant.“
„Ich werde Sophia brauchen“, meinte der andere. „Sie ist immer so ... nützlich.“
Rollo runzelte die Stirn. Claude Bardou war von einer mächtigen Gruppe einflussreicher Pflanzer engagiert wor- den, Freunde von Präsident Madison, die sich an den Rotrö- cken für die Zerstörung Washingtons rächen wollten. Ob- wohl die amerikanischen Geldsäckel wegen der britischen Blockade leer waren, fühlten sich die Gentlemen derart in ihrem
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