Knight 02 - Stuermisches Begehren
Kinderfrau Peg Tate, die den kleinen Jungen aufhielt.
Die freudige Aufregung, die er bei der Aussicht auf einen Besuch seiner glamourösen Mutter an den Tag legte, brach Alice schier das Herz. Er wollte der Baronin so gern näher kommen, doch jedes Mal, wenn Caro bei ihnen weilte, reiste sie gerade dann wieder ab, wenn Harry sich an sie gewöhnt hatte. Das Kind geriet dadurch vollkommen durcheinander – ganz zu schweigen von Alices Zukunft. Sie seufzte leise, drehte sich um und schaute sich in dem hellen, luftigen
Raum um, in dem sie einen Großteil ihrer Zeit verbrachte. Ihr Blick wanderte von dem kunstvollen Käfig aus weiß ge- strichenem Rohr, den sie für ihren Kanarienvogel gebaut hatte, zu dem runden Tisch, wo sie ihre Mußestunden mit di- versen Handarbeiten zubrachte, die zu einer ruhigen jungen Dame passten. Und doch konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie in einer Traumwelt wohnte, während das wahre Leben anderswo vorüberrauschte.
Sie wurde von Sehnsüchten gequält, ohne sagen zu kön- nen, wonach; manchmal so sehr, dass sie nachts nicht schla- fen konnte. Sie war hin und her gerissen zwischen ihrer Lie- be zu ihrem Neffen und Glenwood Park und ihrem Bedürf- nis, ihr eigenes Leben zu finden. Doch schwerer wog im Au- genblick, dass Harry jemand Verlässlichen brauchte, jeman- den, der immer bei ihm war und nicht nur aus irgendwelchen Launen heraus. Nachdem Caro diese Aufgabe nicht zu über- nehmen gedachte, war sie an Alice hängen geblieben. Sie steckte die Hände in die Schürzentaschen und genoss die Sonnenstrahlen, die ihr rotblondes Haar aufleuchten ließen. Sie lockerte die Schultern, um die Spannung loszuwerden, die sie so plagte, und versuchte sich dann an den getrockne- ten Hortensien zu erfreuen, die sie gestern in einer Vase ar- rangiert hatte und die nun den runden Tisch schmückten. Daneben lagen die eleganten Seidenbörsen, die sie für ein paar Londoner Freundinnen zu Weihnachten nähte, ihre Japanlackutensilien und ihr neuestes Werk, eine kunstvolle Schmuckschatulle. All ihre Hobbys waren künstlerischer Natur, doch tief im Herzen fühlte sie, dass sie sich damit nur ablenkte und ihrer Rastlosigkeit ein Ventil verschaffte.
Als sie hörte, wie die Kutsche vor dem Herrenhaus anhielt, trat sie pflichtbewusst ans Fenster, um zu winken, doch als sie hinaussah, erkannte sie zu ihrem Entsetzen, dass es sich gar nicht um Caros modischen gelben Landauer handelte. Es war die Postkutsche. Sie wurde blass und presste die Hand vor den Mund, als ihr klar wurde, was dies zu bedeu- ten hatte. Ein Brief. Nur ein schäbiger Brief. Sie kommt nicht. Es ist ihr einfach egal. Diese Erkenntnis betäubte sie erst und machte sie dann furchtbar wütend.
Ihre dunkelblauen Augen wurden schmal vor Zorn. Über- rascht war sie allerdings nicht. Sie schüttelte den Kopf. Nein, dachte sie grimmig. Diesmal nicht, Caro. Ich lasse
nicht zu, dass du ihm das antust. Das ist der letzte Tropfen. Sie richtete sich auf und ging in die Eingangshalle. An der Tür nahm sie den Brief entgegen und wechselte einen be- sorgten Blick mit Peg, die ebenfalls gekommen war und sich die Hände an der Schürze abwischte.
Peg Tate war schon Phillips und Alices Kinderfrau gewe- sen. Alice betrachtete sie mehr als Familienangehörige denn als Bedienstete. So gutherzig Peg auch sein mochte, bei La- dy Glenwood war sie skeptisch. „Hoffentlich hat sie ‘ne gute Begründung“, brummte sie.
„Der Brief ist nicht von Caro“, sagte Alice angespannt. „Er kommt von Mr. Hattersley.“ Hattersley war der Butler im eleganten Stadthaus der Glenwoods in der Upper Brook Street.
„Ach je, hoffentlich ist alles in Ordnung“, murmelte Peg besorgt.
Da sah Alice allerdings schwarz. Sie befürchtete schon lang, dass sie die Vergnügungssucht ihrer Schwägerin eines Tages in die Katastrophe führen könnte.
„Wo ist Harry?“ erkundigte sie sich besorgt.
„Nellie wäscht ihn für den Besuch seiner Mutter.“
Alice nickte und erbrach das Siegel. „,Sehr geehrte Miss Montague’„, las sie vor, „,vorgestern erreichte uns Ihr Brief. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Lady G. die Stadt ges- tern in Begleitung von Lord Lucien Knight verlassen hat.’„ Sie hielt kurz inne und schaute Peg erstaunt an. „Lucien Knight? Ich dachte immer, es wäre Lord Damien ... o Caro!“ Sie stöhnte. Ihr war sofort klar, was das dumme Stück ange- stellt hatte. Gerade wo es ihr endlich gelungen war, einen braven Mann zu finden, einen Mann,
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