Knight 07 - Im Bann der Sehnsucht
„Heute habe ich he- rausgefunden, dass diese kleinen Orchideen dem Baum etwas zurückgeben.“
„Wie das?“, fragte er. Gegen seinen Willen zog ihr kleines Ge- heimnis ihn an, und vielleicht war er auch ein kleines bisschen bezaubert.
„Sie nähren ihn. Sehen Sie.“ Sie nahm etwas in die Hand, was für ihn wie gewöhnliches Gras aussah. „Als ich mit dem Mes- ser ein wenig tiefer in dem Boden der Orchideen grub, um ihn genauer zu untersuchen, habe ich festgestellt, dass der Baum
bereits begonnen hatte, kleine, wurzelartige Strukturen aus die- sem Ast zu treiben, sodass er aus dem Mulch Nährstoffe aufneh- men konnte, den Generationen abgestorbener Orchideen hier geschaffen haben. Verstehen Sie, was das bedeutet?“
Jack versuchte zu antworten, überlegte es sich dann aber an- ders und schüttelte nur den Kopf.
Sie legte eine Hand auf den dicken Ast, auf dem sie saß, und warf einen sehnsüchtigen Blick in das Blätterdach hinauf. „Sie geben einander etwas, ohne einander zu schaden. Der riesen- große Mahagonibaum gibt dieser kleinen zarten Blume Schutz und Halt, während die Orchidee ihrerseits Nahrung schafft, die hilft, den Baum zu ernähren und ihn stark zu machen. Sie leben in perfekter Harmonie zusammen, und ist das nicht ... einfach schön?“
Jack starrte sie an, stumm vor Bewunderung.
Für Botanik hatte er nicht viel übrig, und auch wenn es wunderbar sein mochte, so erschien ihm doch das Arrange- ment zwischen der Blume und dem Baum nicht halb so unge- wöhnlich und schön wie dieser zarte, exzentrische kleine Blau- strumpf.
Jetzt wusste er auch, wer sie war.
Seine Bekanntschaft mit Victor Farraday und dessen jüngerer Schwester Cecily reichte zurück bis zu der Zeit in England vor zwanzig Jahren, obwohl er als auch Victor inzwischen die Hei- mat verlassen hatten. Nach seiner letzten Information war der berühmte Naturwissenschaftler im Orinocodelta verschwun- den, und seither hatte man nichts mehr von ihm gehört.
„Sie sind Dr. Farradays Tochter“, meinte er.
Stolz richtete sie sich auf und nickte. „Und Sie sind Lord Jack Knight – wobei Jack nur die Kurzform von John ist. So sagte man mir jedenfalls.“
Falls er zuvor schon überrascht war, so war er jetzt vollkom- men verblüfft. „Sie kennen mich?“
Sie lachte. „Ich habe Sie schon einmal gesehen. Auf einem Ball in Kingston.“
„Wirklich?“, fragte er, diesmal mit noch rauerer Stimme.
„Ja“, erklärte sie nachdrücklich. „Ich glaube, Sie trugen einen schwarzen Rock.“
„Sie waren auf einem Ball, auf dem auch ich war, und ich habe Sie nicht bemerkt? Höchst unwahrscheinlich – außer Ihr Vater hat darauf geachtet, dass Sie sich außerhalb meiner
Sichtweite befanden.“
„Vielleicht“, räumte sie ein, und ihr Tonfall war vielleicht eine Spur kokett.
Jack war nicht ganz sicher, wie er mit der Situation umgehen sollte, aber er sah die junge Frau mit einem Lächeln an. Ent- weder – abgeschieden, wie sie in dieser Wildnis lebte – hatte sie nicht gehört, dass er die Personifizierung des Teufels war, oder sie sehnte sich so sehr nach menschlicher Gesellschaft, dass es ihr egal war.
Als ein Mann, der die menschliche Rasse an sich nicht be- sonders schätzte, fühlte Jack sich sonderbar berührt von ihrem scheuen, aber herzlichen Lächeln.
In seiner Fantasie hielt er sie entweder für die schöne, halb- wilde Prinzessin dieses geheimnisvollen smaragdgrünen Reichs – oder für ein seltenes Waldtier, das nie zuvor einen Menschen gesehen hatte und daher nicht wusste, dass es sich fürchten sollte.
Vollkommene Unschuld.
Aber als er die Pistole und die Machete bemerkte, die sie an der schmalen Taille trug, erkannte er mit wachsender Bewun- derung, dass diese Dame sich zu verteidigen wusste. Zweifellos hatte Victor seiner Tochter Überlebenstechniken beigebracht. Und ein Blick in ihre grünen Augen mit dem offenen Ausdruck und der selbstbewussten Entschlossenheit genügte, um Jack er- kennen zu lassen, dass sie außerdem den Verstand ihres Vaters geerbt hatte.
Eine Epiphyte eben.
Er räusperte sich. „Ist Ihr Vater ... äh ... zu Hause, Miss Farra- day?“
„Nein, er wollte die Indianer besuchen. Oh, aber gehen Sie nicht wieder weg! Er sollte bald zurück sein. Möchten Sie auf ihn warten? Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen unser Lager. Ich könnte Ihnen Tee anbieten!“
„Tee? Nun ... das ist sehr freundlich, Miss Farraday, aber wir haben ... äh ... zweiunddreißig Grad.“
„Nein, es sind nur
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