Knight 07 - Im Bann der Sehnsucht
langsam um die Flussbiegung. Es zog einen Lastkahn, der vollgeladen war mit Holz.
Was suchen die hier?, fragte sie sich, während sie immer auf- geregter wurde. Egal! Das konnte genau die Gelegenheit sein, auf die sie gewartet hatte.
Während das Boot näher kam, beobachtete sie die verwegen wirkenden Männer an der Reling und unter den Segeln.
Sie musste zugeben, dass sie nicht besonders vertrauenerwe- ckend aussahen, eher wie Piraten. Wegen der Hitze trugen viele
kein Hemd. Ihre Oberkörper waren von der Sonne gebräunt, tä- towiert und muskulös. Doch Eden wurde zuversichtlicher, als sie einen jungen blonden Mann entdeckte, der gerade auf den Bug zuging.
Anders als die anderen war er vollständig bekleidet, wenn auch ein wenig verschwitzt in der Hitze des Regenwalds. Doch er schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Mit der or- dentlich gebundenen Krawatte, dem weißen Hemd mit den sorg- fältig geschlossenen Manschetten und den ebenholzschwarzen Stiefeln sah er aus wie ein stolzer und sehr korrekter junger Offizier.
Ihr Herz klopfte schneller. Gütiger Himmel, einen so gut aus- sehenden Mann hatte sie seit einer Ewigkeit nicht gesehen – zu- mindest nicht, bis sie ihm mit ihrem Blick folgte und den großen, kräftigen Mann sah, zu dem sich der jüngere an der Reling ge- sellte.
Erstaunt – oder vielmehr fasziniert – betrachtete sie den gera- dezu königlich wirkenden Anführer. Sie hatte sich lange genug mit Tieren beschäftigt, um das dominierende Männchen sofort herausfinden zu können. Und dass er genau das war, stand ab- solut außer Zweifel.
Sein Alter schätzte sie auf etwa Ende Dreißig. Und wie groß er war! Selbst Connor musste er um ein paar Zentimeter überra- gen, und er war weitaus muskulöser als ihr Vater. Der imposante Fremde schien sich seltsamerweise im Regenwald wie zu Hause zu fühlen. Nach spanischer Art trug er um den Hals ein ver- knotetes rotes Tuch, dazu ein weites weißes Hemd. Offensicht- lich der Hitze wegen hatte er Weste und Überrock abgelegt. Das Hemd stand weit offen, sodass sie die schimmernde Haut seiner muskulösen Brust sah.
Durch den Regen war der feine weiße Leinenstoff durchschei- nend geworden und klebte an seinen breiten Schultern. Darun- ter trug er eine graubraune Hose, deren Beine in schimmernden schwarzen Stiefeln steckten.
Ganz plötzlich begriff Eden.
Ich weiß, wer dieser Mann ist.
Lord Jack Knight, der geheimnisvolle Kaufmann und Aben- teurer, ein millionenschwerer Schiffsmagnat – und einer der mächtigsten und gefürchtetsten Männer in ganz Westindien.
Black Jack Knight, wie er auch genannt wurde.
In der guten Gesellschaft von Kingston erzählte man sich vie-
lerlei Geschichten über den geheimnisvollen Abenteurer, doch obwohl man sich zuflüsterte, er sei ein sehr wilder Mann, be- klagte man sich, dass er viel zu selten bei gesellschaftlichen An- lässen erschien. Er war der zweite Sohn eines Dukes, wenn man den Geschichten Glauben schenkte, doch schon vor Jahren hatte er England den Rücken gekehrt, um seinen eigenen Weg zu ge- hen. Alles in allem war ihm das gelungen.
Es hieß, ihm gehörten große Teile Jamaikas und darüber hi- naus eine Flotte mit achtzig Schiffen sowie Speicherhäuser auf allen Kontinenten. Keine Gegend des Planeten war für ihn un- erreichbar: Pelze aus dem wilden Norden Kanadas, Seiden und Gewürze aus dem Osten, Zuckerrohr aus der heißen Zone und erstaunliche neue Maschinen aus den Norden Englands. Der Hauptsitz seiner Firma Knight Enterprises lag in Port Royal, doch Eden hatte gehört, dass er in einer eleganten weißen Villa außerhalb der Stadt lebte, auf einer Klippe oberhalb des Meers. Das Haus hatte mehr als hundert Zimmer, doch er lebte dort al- lein mit seinen Dienstboten.
Manche Leute behaupteten, er würde dunkle Geschäftsbe- ziehungen zu den Schmugglern unterhalten, die Buenos Aires heimsuchten. Andere meinten, er habe während des Kriegs 1812 den Amerikanern geholfen. Und da er selbst Brite war, würde ihn das zu einem Verräter machen, wenn es denn stimmte. Und es gab noch finsterere Geschichten, Gerüchte über Piraterie in einer dunklen Vergangenheit. Aber soweit Eden wusste, hatte niemand es je gewagt, ihn damit zu konfrontieren, um heraus- zufinden, ob an all den Gerüchten etwas dran war.
Wie auch immer, dachte sie und schluckte, während sie ihn genauer betrachtete. Und wenn er Blackbeard persönlich wäre, was kümmert es mich, solange er mich hier herausbringt.
Seiner
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