Knochenkälte
bestrafen.«
Sie schleudert Schuhe und Socken neben meine und stapft mitsamt Shorts und ihrem T-Shirt mit Stalk-and-Kill- Aufdruck ins Wasser.
Als sie neben mir steht, taucht sie ihren Kopf unter und peitscht dann die Haare nach hinten, dass ein Wasserbogen durch die Luft spritzt. Ihr nasses Haar hat dasselbe Mitternachtsschwarz wie ihre Augen. Sie blinzelt ein paar Wassertropfen weg und spuckt mir dann einen Mundvoll Seewasser ins Gesicht.
»Vielen Dank auch«, pruste ich.
»Aber gerne doch. Übrigens, also... Hast du schon mit deinem Dad gesprochen? Wie sieht’s aus? Bleibt ihr hier?«
Dad und ich hatten Riesenzoff, als ich ihm sagte, dass ich keine Lust mehr hätte, ständig von einem Ort zum anderen zu ziehen. Ich hab ihm gesagt, dass ich hierbleiben will, in diesem gottverdammten Kaff im Nirgendwo. Zumindest so lange, bis ich wieder zu Atem gekommen bin. So lange, bis ich absehen kann, wie das mit Ash und mir weitergeht.
Der Streit wäre vermutlich noch übler ausgefallen, wenn Dad nicht schon von Andrea aufgeweicht worden wäre. Sie hat ihn in den vergangenen Monaten immer wieder aus dem Haus gezerrt - ins Kino, auf die Motorradrennbahn, sogar zu sich nach Hause, da hat sie ihn bekocht. Er spielt immer noch den Unnahbaren, aber nicht mehr so schlimm wie früher. Sie ist wie ein Hund auf der Jagd nach einem Knochen und der Knochen kann nie gewinnen.
»War kein schönes Gespräch«, sage ich zu Ash. »Ich meine, da hatte sich so viel Zeug aufgestaut, über das wir nie geredet haben. Aber am Ende hat er nachgegeben. Ich glaube, er ist das Wegrennen genauso leid wie ich. Der Besitzer des Jachthafens hat gesagt, er kann auch im Sommer Dads Hilfe gebrauchen. Also nimmt Dad ihn jetzt beim Wort.«
Ash nimmt meinen Kopf in den Schwitzkasten. »Ich wusste doch, dass ich dich am Haken habe. Wenn man einmal was Indianisches hat, kommt man nie mehr davon los.«
Ich beiße ihr in den Bizeps, um mich zu befreien.
»Hey, mach mir jetzt nicht den Windigo, okay?« Sie lässt mich los.
Dann schiebt sie mir eine Tsunami-Welle ins Gesicht. Meine Haare sind klatschnass. Ich blinzele mir das Wasser aus den Augen und sehe die Stelle, wo ich sie gebissen habe. Direkt neben ihrem kleinen schwarzen Tattoo.
Ich hab mir meins auf den Handrücken machen lassen. Die Endlosschleife windet sich genau um den blauen Punkt herum, den die Bestie hinterlassen hat, als sie mich gebissen hat. Manchmal hab ich da Phantomschmerzen, als hätte ich einen Eissplitter unter der Haut stecken. Ich muss lange über den Handrücken reiben, um ihn wegzuschmelzen.
»Denk nicht immer so viel nach«, sagt Ash und spritzt mir schon wieder Wasser ins Gesicht. »Das muss doch wehtun.«
Ich sehe sie an, mein Blick wandert zu der kleinen Narbe an ihrer Unterlippe hin. Sie hat recht. Weniger denken. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, zieht sich mich eng an sich.
Das hier wird niemals enden. Dieser Augenblick. Dieser Kuss.
Ich weiß, dass nichts ewig ist. Aber in dieser Sekunde fühle ich mich unendlich.
cbt - C. Bertelsmann Taschenbuch Der Taschenbuchverlag für Jugendliche Verlagsgruppe Random House
Der Autor dankt für die Unterstützung des Canada Council for the Arts
1. Auflage
Erstmals als cbt Taschenbuch Dezember 2009 Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform
© 2008 by Graham McNamee
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Bonechiller« bei Wendy Lamb Books, an imprint of Random House children’s books.
© 2009 für die deutschsprachige Ausgabe bei cbt/cbj
Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten Übersetzung: Yvonne Hergane-Magholder
Lektorat: Barbara Müller
Umschlagbild: Istockphoto: Jon Helgason, Anssi Ruuska, Aleksandar Velaseric
eISBN : 978-3-641-03741-5
www.cbt-jugendbuch.de
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