Knochensplitter - Ein Alex-Delaware-Roman
Minuten«, sagte der Wachmann. »Ich habe zugehört, Doc. Es gab keinerlei Probleme. Ich habe mal kurz reingelinst, ohne dass sie mich gesehen haben. Sie hat Mr. H.s Hand gehalten. Gegen Ende zu hat sie viel geweint, und ich glaube, er hat sie um Vergebung gebeten oder so was Ähnliches,
und sie hat gesagt, nein, er müsste ihr vergeben. Dann sind noch mal jede Menge Tränen geflossen.«
»Was hat ihr Begleiter gemacht?«
»Einfach nur dagesessen.«
Ich dankte ihm und öffnete die Tür.
Huck lag auf dem Rücken und schlief friedlich. Er hatte sich noch immer nicht geregt, als ich mir die Patientenkarte angesehen und mit seinem Physiotherapeuten geplaudert hatte. Ich ging und fuhr zu einer anderen Klinik.
Im stationären Rehabilitationscenter am Western Pediatrics hatte Kelvin Vander ein Privatzimmer, das rund um die Uhr von Privatdetektiven bewacht wurde, die Aaron Fox unter Vertrag genommen hatte. Ein Drittel des Stundenlohns, den die Freischaffenden in Rechnung stellten, ging direkt auf Fox’ Bankkonto.
Kelvins neue Anwälte zahlten gern. Ihr Honorar wurde über ein Konto abgerechnet, für das eine siebenstellige Summe aus dem Vermögen der Vanders zur Verfügung gestellt wurde. Das Vermögen war auf über hundertsiebzig Millionen geschätzt worden. Ein Familienrichter, der mit der Wahrung von Kelvins Interessen betraut war, versprach, ein Auge auf das Geld des Jungen zu haben. Wenn die Sache aus dem Ruder laufen sollte, wollte er die jährlichen Einkünfte der Anwälte auf eine oder zwei Millionen begrenzen.
Im Laufe von drei Wochen hatte ich hundert Stunden mit Kelvin zugebracht und würde irgendwann ebenfalls eine Rechnung schicken, aber vorerst hatte ich andere Dinge im Kopf.
Der Junge schaute mich an, als ich ihn besuchte.
Einen Monat später sprach er noch immer kein Wort.
Ich versuchte es mit Malen und Spielen oder saß einfach nur da.
Schwieg ihm zuliebe ebenfalls.
Als ich mit meiner Weisheit am Ende war, rief ich den Richter an und brachte eine Bitte vor.
»Hmm«, sagte er. »Irgendwie kreativ, Doktor. Glauben Sie, es klappt?«
»Das lässt sich nicht vorhersagen. Meiner Meinung nach hätte er sich inzwischen öffnen müssen.«
»Ich weiß, was Sie meinen. Ich habe ihn mir selber angesehen. Der Junge ist niedlich, aber irgendwie wie eine kleine Statue. Klar, ich genehmige es.«
Tags darauf war ich in Kelvins Zimmer, als ein Spinett samt dazu passender Bank geliefert wurde.
In der Schublade der Bank befanden sich Notenblätter, die ich von dem Steinway-Flügel mitgenommen hatte, der in dem Haus mit Meeresblick an der Calle Maritimo stand.
Ich holte ein paar heraus, breitete sie auf dem Krankenhausbett aus.
Er schloss die Augen.
Ich wartete eine Weile, dann verließ ich das Zimmer. Setzte mich ins Schwesternzimmer und machte mir gerade Notizen, als die Musik begann, zaghaft zunächst, dann lauter, durch die Tür drang und den diensthabenden Privatcop aufmunterte.
Alle lauschten.
»Was ist das?«, fragte eine Schwester. »Mozart?«
»Chopin«, sagte ich. Eine der Etüden, dessen war ich mir ziemlich sicher.
Ein ums andere Mal.
Ich fuhr nach Hause und holte eine CD-Box heraus.
Zehn Minuten später hatte ich sie: Opus 25, Nummer2, in f-Moll.
Technisch anspruchsvoll, manchmal heiter, manchmal traurig.
Später erzählten mir die Schwestern, er habe sie den ganzen Tag lang und bis weit in den Abend hinein gespielt.
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Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel
»Bones« bei Ballantine Books,
a division of Random House, Inc., New York.
1. Auflage
Deutsche Erstveröffentlichung April 2010
Copyright © der Originalausgabe 2008 by Jonathan Kellerman
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlagmotiv: Lisa Spindler Photography Inc. / getty images
Redaktion: Almut Werner
WI · Herstellung: Str.
eISBN : 978-3-641-04309-4
www.goldmann-verlag.de
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