Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
der Hammerschlag aus Herzogswalde vor ihm stand. Aber dann verstanden wir uns prächtig. Ich sage Ihnen, Sophie, das ist ein Haus, wo Leo in den besten Händen ist. Es hat einen internationalen Ruf. Die beste Adresse von Dresden: Weißer Hirsch. Nur der Name des Chefs mißfällt mir.«
»Wieso?« Sie sah ihn mit ihren großen blauen Augen etwas ängstlich an.
»Privatklinik Dr. Fritz Kirchhoff … Die zwei f machen's auch nicht … Kirchhof bleibt Kirchhof. Das ist genau das, woran Leo sich stören wird. Aha, da bin ich also schon, wird er brüllen …«
»Leo wird nicht mehr brüllen …«, sagte Sophie leise. »O mein Gott, wenn er doch nur einmal wieder so brüllen würde wie früher. Aber er sitzt da, stiert vor sich hin und regt sich über nichts mehr auf. Nicht einmal die Schwestern beleidigt er …« Sie sah Hammerschlag fragend an. »Wieviel kostet es bei Dr. Kirchhoff?«
»Das ist doch Nebensache«, wich Hammerschlag aus.
»Für mich nicht. Kann ich dort in der Küche arbeiten?«
»Arbeiten?« Hammerschlag ließ die Faust auf seine Knie fallen. »Was ist das für ein Gedanke? Sie sind die gnädige Frau, der Aufenthalt wird pünktlich bezahlt, ob Baron Lebkowitz oder Leo Kochlowsky, sie sind alle gleich. In der Küche arbeiten – so ein Blödsinn! Woher das Geld kommt, geht keinen etwas an. Es ist da … basta!«
»Aber die Kinder und ich müssen auch leben …«
»Du lieber Gott, welche Gedanken! Lassen Sie das unsere Sorgen sein.«
»Nein, ich möchte nichts geschenkt haben. Ich will nicht von Almosen leben. Ich kann arbeiten …« Ihre Augen blitzten ihn wütend an. »Meine Kinder ernähre ich und niemand sonst!«
»Nur Ruhe, Ruhe …« Hammerschlag legte den Arm begütigend um Sophies schmale Schulter. »Es wird sich alles regeln. Das Wichtigste ist: Wir haben für Leo einen international bekannten Spezialisten.«
Acht Tage später wurde Kochlowsky nach Dresden in die Klinik auf dem Weißen Hirsch gebracht. Sophie war in der zurückliegenden Woche in Herzogswalde geblieben, hatte die drei älteren Kinder in der Nachbarschaft untergebracht, mit dem Baron gesprochen, der ihr jede Unterstützung zusagte, und war bereit, mit Sophie, dem Säugling, ihren Mann nach Dresden zu begleiten. Jacky, der Spitz, blieb bei Hammerschlag, in Sichtweite von Wanda, die bei der Familie Bleicher wohnte, den Eltern ihrer Schulfreundin. Es hatte Mühe gekostet, sie dort unterzubringen, sie wollte unbedingt mit nach Dresden.
»Ich kann auch in Dresden in die Schule gehen!« rief sie schlagfertig, als man ihr die Schule als Hindernis entgegenhielt.
»Und wo willst du schlafen?«
»Neben Papa auf dem Sofa. Die können doch ein Sofa ins Zimmer stellen – oder nicht? Wenn das so vornehme Pinkel sind, haben die doch bestimmt ein Sofa übrig …«
»Eine echte Kochlowsky!« grunzte Hammerschlag anerkennend und zog Wanda an sich. »Um den Fortbestand des Kochlowsky-Geistes ist mir nicht bange …«
Es gelang schließlich doch, Wanda umzustimmen und bei der Schulfreundin unterzubringen.
»Nur für eine Woche, Wandalein«, beruhigte Sophie die Kleine. »Dann bin ich wieder zurück. Ich will nur dabeisein, wenn Papa sich einlebt. Du weißt doch, wie er ist …«
Aber Leo Kochlowsky hatte sich verändert. Zwar sagte er zu Sophie, als sie wieder im Krankenhaus von Tharandt war: »Die Schwester mit dem Pickel auf der Backe, diese Erna, ist ein Saustück!«, aber er sagte es Schwester Erna nicht ins Gesicht, wie es früher geschehen wäre. Geduldig ließ er alles über sich ergehen – Untersuchungen, Spritzen, den neumodischen Kram mit elektrischen Nervenreizungen, die vorsichtige Gymnastik, die Reflextests – nur wenn er allein war, am Abend, saß er auf seinem Bett und starrte auf seine zitternden Hände.
Ich werde nie mehr einen Federhalter in den Fingern halten können, nie mehr die Kraft haben, ein Pferd zu lenken, dachte er. Mit diesen Händen kann ich nichts mehr machen … nicht mal eine Frau streicheln. Zehn zitternde Körperenden – mehr sind sie nicht mehr, meine Finger. Wie soll das werden? Ich habe vier Kinder, ich muß sie ernähren. Was kann ich tun ohne Hände?
Der Oberarzt gab auf Kochlowskys Fragen ausweichende Antworten, so wie es Mediziner immer tun, wenn sie selbst unsicher sind. »Nur Geduld!« oder »Es wird schon werden!« oder »Wenn man auf Wunder wartet, kommen sie nie!« – Dumme Sätze, die Kochlowsky mit »Du Hornochse!« beantwortete, aber erst, wenn der Arzt gegangen war.
Der
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