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Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön

Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön

Titel: Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wald, Sicherheit und Futter verhieß, vor allem aber Freiheit, keinen Zwang mehr, so schwer es auch war, Wanda nicht mehr zu sehen, nicht mehr ihr helles Lachen zu hören oder ihren befehlenden Ton, der fast genauso klang wie bei seinem Herrn. Auch den kleinen Leo hatte er in sein Herz geschlossen, was er damit bewies, daß der Kleine ihm an den Nüstern ziehen konnte und er dabei stillhielt. Das war nun alles vorbei – was kam, war die Einsamkeit und ein stilles Dahinleben.
    Jetzt aber – und das erkannte er sofort – änderte sich schlagartig alles. Man wollte ihn einfangen. Die Menschen, die er bis auf wenige Ausnahmen haßte, wollten ihn wieder in einen Stall sperren, wollten wieder versuchen, auf seinem Rücken zu sitzen, würden ihn mit Zucker und Schlägen, mit Hungern oder feistem Hafer zwingen, so wie andere Pferde zu sein. Tag für Tag mußte er diese Menschen sehen, hören, riechen und fühlen, bestimmten sie sein Leben, erwarteten sie von ihm, daß er ihnen Untertan war.
    Er sah sich noch einmal um, bemerkte, wie die Kolonne sich in Bewegung setzte, ausfächerte und ihm in einem Halbkreis folgte. Da wieherte er wütend, spannte die herrlichen Muskeln und begann der grünen Wand am Horizont entgegenzugaloppieren.
    »Jetzt rast er los!« schrie Förster Ursprung und gab seinem Pferd die Sporen. »Ich sag's ja: Er ist ein intelligenter Bursche! Er weiß genau, was ihm blüht! Männer, er darf nicht in den Tharandter Wald entkommen … dort nützen unsere Netze nichts mehr. Vorwärts!«
    Es war im Grunde genommen eine völlig sinnlose Jagd. Wer kam gegen Reckhardts Kraft an? Er war frei von aller Last, während die ihn verfolgenden Pferde noch ihre Reiter tragen mußten. Es war eine aussichtslose Hetze, vor allem, wenn Reckhardt den Wald erreichte.
    Mit weit ausgreifenden Schritten jagte das Pferd dem rettenden Wald zu. Sein Schweif wehte waagerecht in der Luft, Kopf und Hals waren vorgestreckt, der Körper ein einziges Muskelspiel – welch wundervoller Anblick! Durch das Hügelgelände und verstreute Baumgruppen donnerte der Galopp, der Wald rückte immer näher, und mit einem triumphierenden Wiehern warf sich das Pferd noch mehr nach vorn, der Freiheit entgegen.
    Die Kavalkade hinter ihm war aufgerückt. Ein Teil hatte sich seitlich abgesetzt, war aus den Hügeln heraus, hatte freies Feld erreicht und konnte nun im gestreckten Galopp an Gelände gewinnen. Außerdem begannen sie, als sei es wirklich eine Hetzjagd, in die Luft zu schießen, die Umgebung damit alarmierend und aufrufend, mitzuhelfen.
    Das Pferd spitzte die Ohren, blähte die Nüstern und streckte sich noch mehr. Es witterte die neue Gefahr und bereitete sich darauf vor, daß vor ihm eine Sperre entstehen könnte. Es würde kein Zögern geben, nur ein Vorwärts, über alles hinweg und durch alles hindurch.
    Reckhardt erreichte den Waldrand, aber da erwartete ihn auch schon das erste Hindernis. Von den Schüssen aufgeschreckt, hatte ein Jagdwagen auf dem Waldweg angehalten. Ein Kurgast aus dem nahen Hartha hatte sich das Gefährt samt Kutscher gemietet, um einen Ausflug durch den Tharandter Wald zu machen, vor allem aber nach Herrndorf, wo das Gasthaus ›Adler‹ lag, ein weitgerühmtes Restaurant mit einer exzellenten Küche und einer geradezu zum Träumen anregenden Weinkarte. Denn davon lebte der ›Adler‹: Die Kurgäste, die in Hartha und Tharandt eine strenge Diät verordnet erhielten, um ihre Gicht aus den Gelenken zu spülen, ließen sich ab und zu heimlich nach Herrndorf karren, um dort dem köstlichen Wohlleben zu frönen. Man traf dort so manchen Bekannten aus dem eigenen oder aus anderen Kurhäusern, aber man schwieg. Man war schließlich eine verschworene Gemeinschaft der Sünder.
    Auch Kommerzienrat Wilhelmsen gehörte ihr an. Während er sich im Jagdwagen schon auf den Rotwein freute, erschrak er plötzlich sehr, als er das nahe Schießen hörte. Sein Kutscher hielt auch sofort an und hob die Nase wie ein witternder Hirsch.
    »Um diese Zeit jagt man?« fragte Wilhelmsen irritiert. »Und es kommt immer näher! Merkwürdig!«
    »Hört sich an wie eine Verfolgungsjagd …«
    »Mit Waffengewalt?« Kommerzienrat Wilhelmsen zog den Kopf ein. »Wir sollten uns schnell aus dem Staub machen, Kutscher! Wenden Sie …«
    Doch dazu kam es nicht mehr. Vor ihnen brach ein großes, schnaufendes, schwitzendes, bei aller Schönheit vernichtend aussehendes Pferd aus dem Gebüsch, streckte den Kopf vor, konnte nicht mehr ausweichen und setzte

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