Kochwut
Quod erat demonstrandum
»Unaufhaltsam kroch die Kälte bis zu seinem Herzen.«
Beim Gedanken an diesen Satz legte sich unwillkürlich ein Lächeln auf sein Gesicht. Wie wahr! Seine Ruhe, ja seine Kaltblütigkeit ließen ihn über sich selbst staunen. Auch das Wort ›Kaltblütigkeit‹ rief wieder eine Art alberner Heiterkeit in ihm hervor.
Bei aller Benommenheit fühlte er sich leicht und beschwingt, so als hätte er zwei, drei Gläser perlenden Champagners getrunken. Nein, Champagner wäre es wohl nicht gewesen, eher ein köstlicher Cremant aus dem Elsass. Darauf hätte Pierre sicherlich bestanden, denn er war in allem, was er tat, ein absoluter, ein geradezu gnadenloser Perfektionist. Vermutlich musste er das auch sein. Ohne diese Eigenschaft hätte er niemals eine so beispiellose Karriere machen können. Und ohne Pierre hätte auch er es niemals so weit gebracht. Pierre hatte einen untrüglichen Instinkt für alles, was Geld brachte, und war kompromisslos im Durchsetzen seiner Meinung.
Was hatten sie nicht für Kämpfe ausgefochten in den Jahren ihrer Zusammenarbeit. Doch wenn es Pierre gelang, ihn zu überzeugen, und seine – zugegeben – heiligen Prinzipien es zuließen, hatte er sich letztlich immer gefügt und war gut dabei gefahren – bis auf dieses eine Mal. Aber er konnte eben nicht gegen seine Grundsätze verstoßen, das lag in seiner Natur, und so hatte es dieses eine Mal keine Einigung gegeben. Es würde wohl das einzige Mal bleiben – und vermutlich auch das letzte. Ein einziges Mal hatte er sich gegen Pierre gestellt und hatte sich durch kein Argument von seinem Standpunkt abbringen lassen. Hatte sich dieser Einsatz gelohnt?
Er spürte, wie auf einmal eine lähmende Müdigkeit von seinem Körper Besitz ergriff. Er zwang sich dennoch, diese Frage zu klären. Es war für ihn eine Frage der Ehre, und es erfüllte ihn mit Befriedigung, dass er immer noch überzeugt war, richtig gehandelt und dieses eine Mal nicht nachgegeben zu haben. Allerdings, hätte er nicht auf seiner Sicht der Dinge beharrt, befände er sich jetzt auch nicht an diesem ungastlichen Ort. Er säße drüben im Herrenhaus, in seinem Zimmer vor dem prasselnden Kaminfeuer, bei einem weiteren Glas Bordeaux, einem Château Haut-Brion um genau zu sein, von dem er kürzlich auf eine Empfehlung hin ein paar Flaschen erworben und den er extra für seinen Besuch geöffnet hatte. Dieses Mal hatte er recht behalten und den Nachweis dafür nun selbst erbracht – zu einem hohen Preis, einem sehr hohen Preis.
Mit geschlossenen Augen lag er da. Sie hätten ohnehin nichts schauen können in der undurchdringlichen Dunkelheit der kalten Kammer. Nie hatte er sich bei seinen seltenen Besuchen hier drin sonderlich wohlgefühlt. Zwischen all den Keulen, Rücken und Hüften der Tiere war ihm mehr als einmal die Assoziation mit einer Gruft in den Sinn gekommen. Inzwischen war er zu schwach, um sich auch über diese Ironie des Schicksals noch zu amüsieren.
Eine große Traurigkeit überkam ihn, und er fühlte sich unendlich allein in der alles verschluckenden Finsternis. Mit nachlassender Kraft tasteten seine Hände über seinen Körper. Es war kein böser Traum, wie er einen Moment lang gehofft hatte. Das Messer steckte immer noch an der Stelle, wo es sich in seine Brust gebohrt hatte. Er seufzte. Kurz darauf schwanden ihm die Sinne, und wenig später war sein Leben zu Ende.
Kapitel I
»Ich verspreche dir, eines Tages werde ich diese Frau zum Schweigen bringen.«
Das klang drohend, und es wurde so leise vorgebracht, dass nur sein rechter Tischnachbar es verstehen konnte. Der nickte langsam und einverständig.
Carola war am Ende ihrer kleinen Ansprache angelangt. Wie gewohnt trug sie eines ihrer skurril geschnittenen, weiten Kleider, natürlich schwarz, heute mit einer kiloschweren Sammlung von Ketten aus dicken, dunkelroten Holzkugeln um den Hals. Lässig lehnte sie in ihrem Stuhl und hob ihr Glas. Ihr ebenfalls dunkelrot bemalter Mund deutete ein mildes Lächeln an, und sie blickte zufrieden um sich.
»Auf unseren Gastgeber! Dein Rahmbraten war wunderbar zart, die Soße gut gewürzt und der Semmelkuchen dazu wirklich lecker – ich verleihe dir zweieinhalb goldene Kochlöffel, Georg«, sie machte eine bedeutungsvolle Pause und sagte dann spitz: »Den halben muss ich leider abziehen, weil mein Teller nicht gewärmt war.«
»Irgendwann bring ich sie um, ich schwör’s«, murmelte Steffen noch einmal leise, hob ebenfalls sein Glas und stieß
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