Köhler, Manfred
vorhätte? Du brummst mir das Ding ganz schön kurzfristig auf.“
„Hast du was vor?“
Noch immer hielt Walter die Einladung mit ausgestrecktem Arm in die Höhe.
Lothar Sahm ergab sich seufzend und nahm ihm das Kärtchen aus der Hand.
Er ging zurück ins Nachbarzimmer, ließ sich in seinen Bürostuhl fallen und machte sich über die Post her. Seine Aufgabe, den Briefkasten zu leeren, die Briefe zu öffnen und samt dem morgendlichen Faxe-Knäuel auszumisten, hatte wie selbstverständlich Liane Czibull an sich gezogen. Arbeit war ihm damit nur in mechanischem Sinne abgenommen. Denn die inzwischen nicht mehr ganz so neue Kollegin fand fast alles, was sich an Meldungen aufdrängte, berichtenswert, und sie hatte die Stirn, ihm, dem stellvertretenden Redaktionsleiter, Anweisungen auf Briefe und Faxe zu kritzeln.
„Wichtige Meldung“, entzifferte er an diesem Morgen auf einem Polizeibericht über Scherereien mit einem Zechpreller, „unbedingt vertiefen! L.C.“
Unbedingt entsorgen, dachte er, knüllte das Papier zusammen und warf es in den Mülleimer.
„Wäre das nicht mal was für eine Reportage oder ein Feature? L.C.“, hatte sie neben die Ankündigung einer großangelegten Radarkontrolle am nördlichen Stadtrand geschrieben. Er legte die Meldung in seinem privaten Terminkalender ab, um an dem Tag nicht selbst in die Falle zu tappen, und griff sich das nächste Papier.
„Ob der Einmaligkeit des Ereignisses sollte der Streichstift bei dieser Reportage fallen gelassen werden!“, stand unter der schülerhaften Nacherzählung einer Busreise des Seniorenclubs. Diese Anmerkung stammte nicht von der Czibull, sondern vom Verfasser. Für Lothar Sahm war das Maß damit voll.
Unterdessen war Peter Schuster hereingekommen und hatte ihn murmelnd begrüßt. Auch zwischen ihnen stand es nicht zum Besten. Zwar hatte Lothar Sahm jedes Mal, wenn er in die Redaktion kam, sofort angeboten, dessen früheren Schreibtisch zu räumen, aber Peter hatte grundsätzlich abgelehnt – zumal er so oft auftauchte, dass sein jüngerer Kollege zu überhaupt nichts mehr gekommen wäre. So hatte es sich eingebürgert, dass Peter sich irgendwo ein Plätzchen suchte und seine Artikel zur Not mit der Hand schrieb, wenn kein PC frei war. Natürlich empfand er als Redaktions-Urgestein diese Situation als entwürdigend, und obwohl ihm klar sein musste, dass nicht Lothar Sahm an diesem Zustand schuld war, so machte sich seine Verbitterung doch an ihm fest.
An diesem Morgen war der Schreibtisch gegenüber unbesetzt, denn Mandy hatte einen freien Tag, und so ließ sich Peter auf ihrem Platz nieder und breitete seine Notizen aus. Er hatte am Abend zuvor die Jahreshauptversammlung des 1. FC Wallfeld über sich ergehen lassen müssen. Mit Ehrungen und Neuwahlen.
„Jetzt schau dir das an!“, begrüßte ihn Lothar Sahm entrüstet. „Was der sich erdreistet: ...den Streichstift fallen lassen!“
Peter warf einen Blick auf das Papier.
„Das ist der Dieter H. Gause, der gibt sich immer so viel Mühe mit seinen Berichten. Den dürfen wir nicht verärgern.“
Nicht verärgern? Was war denn mit dem heute los? Lothar Sahm war jetzt so richtig in Fahrt.
„Ich weiß schon, wer das ist: der schlimmste Schmierfink unter allen freien Mitarbeitern. Hör dir bloß das an: ...und in der wunderschönen Altstadt der Domstadt, wurde dann Roulade mit Klößen aber auch manch ausländisches Gericht wie Piza oder Lasanie verköstigt und, anschließend so manches altehrwürdige Gebäude zur Kenntnis bzw. in Augenschein genommen.“
Er las die falsch gesetzten Kommas mit besonderer Betonung.
„Nicht mal Pizza hat er richtig geschrieben, geschweige denn Lasagne. Dazu diese grässlichen Fotos, lauter Hinterköpfe, und auf dem anderen die ganze Hundert-Mann-Meute vor dem Rathaus, die Gesichter winzig wie Stecknadelköpfe und auch noch unscharf.“
„Wärst du lieber selbst mitgefahren?“, fragte Peter teilnahmslos und startete den Computer.
„Nein, natürlich nicht. Ich finde, so was gehört überhaupt nicht ins Blatt!“
„Die Wallfelder Rundschau ist eine Lokalzeitung, da wollen sich die Leute drin wiederfinden.“
„Ach Quatsch, da geht es doch bloß um die Auflage. Der Seniorenclub hat 700 Mitglieder, und die könnten die Zeitung kollektiv abbestellen, wenn nicht jeder Ausflug wiedergekaut wird.“
„Ja und? So ist das nun mal. Das sind die Leser, für die du arbeitest und die deinen Lohn bezahlen. Wenn sie so was lesen wollen, dann haben wir es zu
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