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Köhler, Manfred

Köhler, Manfred

Titel: Köhler, Manfred Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irrtümlich sesshaft
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weit in den Nachmittag zog.
    Bevor Walter in die Redaktion zurückkam, musste Lothar Sahm zum 95. Geburtstag des Alt-Landrates, ein Fototermin der Kategorie „Lebende Leiche“: Landrat und stellvertretender Landrat hatten ihren Vorvorgänger fest unterzuhaken, damit er fürs Gruppenfoto auf den Beinen blieb. Das runde Dutzend durcheinanderwuselnder Urenkel und Ur-Urenkel galt es so zu drapieren, dass keiner der Ehrengäste verdeckt wurde. Auch der Präsentkorb mit der goldenen „95“ sollte im Bild erkennbar sein, das war der mit Zitterstimme geäußerte Wunsch des Jubilars. Lothar Sahm knipste zehn Aufnahmen herunter, bis endlich ein Foto dabei war, auf dem die Hauptperson die Augen offen und den zahnlosen Mund geschlossen hatte. Danach durfte er mit anstoßen und Häppchen verzehren, eine der Enkelinnen, eine Frau wie ein gemästetes Huhn, ließ ihn nicht entwischen.
    Zurück in der Redaktion musste das Foto überspielt und eingepasst, der Text geschrieben, die Seite fertig gestaltet werden. Es war nach 18 Uhr, und Walter saß noch über seinem Kunstmuseums-Artikel, als Lothar Sahm sich in den Feierabend verabschiedete. Ein Gespräch über die neue Mitarbeiterin erschien ihm jetzt noch drängender.
    Denn die Czibull war in seinem winzigen Ein-Mann-Büro einquartiert worden: Als er von dem 95. Geburtstag zurückkam, saß sie an seinem Computer. Er ließ sich das nur gefallen, weil er nicht gleich am ersten Tag der neuen Kollegin herumnörgeln wollte; zudem schien der Artikel, an dem sie arbeitete, sehr eilig zu sein, irgendwas mit Polizei. Sie sagte nicht viel, aber tat sehr wichtig. 20 Minuten musste er warten. Er wollte die Zeit nutzen, auf einem der Besucherstühle seines Büros sitzend den Geburtstagstext schon mal auf Papier zu entwerfen. Aber er schrieb etwas anderes.
     
    Erst am Nachmittag des übernächsten Tages kam ihm der Zettel in seiner Jackentasche wieder in den Sinn. Am Zaun seines Grundstückes war das, beim Heckenschneiden. Er legte die Gartenschere beiseite, ging ins Haus, erklomm die steile Holzleiter hoch in sein Arbeitszimmer und startete seinen Computer. Auf knapp einer Seite skizzierte er eine neue Romanidee, die Geschichte eines binationalen Liebespaares, das vor der drohenden Gefahr einer Familientragödie davonlief und nach Amerika auswanderte.
    Eigentlich hatte er sich danach gleich noch mal über seine Hecken machen wollen, aber inzwischen war ein eiskalter Herbstschauer niedergegangen, und am Horizont hing schon die nächste schwarzgraue Regenfront. Er stieg hinunter in die Küche, schaute in den Kühlschrank, hatte keinen Appetit; er versuchte zu lesen, konnte sich nicht konzentrieren, legte das Buch beiseite.
    Schließlich griff er zur Fernbedienung und zappte den Rest des Sonntags in kleine Stücke.
     
    Am Montag kam Lothar Sahm schon kurz nach acht Uhr in die Redaktion. Zu dieser Zeit war meist noch niemand außer Walter da. Er fand ihn, eine aktuelle Ausgabe der Wallfelder Rundschau vor sich, an seinem Schreibtisch.
    „Morgen. Kann ich mit dir reden, bevor die anderen kommen?“
    Walter hatte ihn längst gehört und sich erwartungsvoll zurückgelehnt.
    „Klar, komm rein!“
    Er schloss die Tür hinter sich, zog einen Stuhl heran und setzte sich.
    „Es geht um Liane Czibull. Von wo kommt die eigentlich?“
    „Ich weiß es auch nicht genau, irgendwo im Ruhrgebiet. Die Sache lief direkt über den Geschäftsführer, ich habe erst am Freitag kurz vor der Besprechung alles erfahren.“
    „Wo soll denn ihr Arbeitsplatz eingerichtet werden? Bei mir ist sie ja bestimmt nur vorübergehend untergebracht.“
    „Na ja, also ... weißt du, es hat sich noch ein bisschen mehr geändert. Hhhmmkkkkmmmhhh.“
    Walter räusperte sich. Das tat er immer, wenn es Unangenehmes mitzuteilen gab. Seine Stimme musste nicht mal belegt sein, Räuspern hieß: Jetzt mach dich auf was gefasst!
    „Der Peter Schuster ... oder andersrum: Unser Geschäftsführer denkt sich das so: Die Frau Czibull teilt sich mit dir künftig dein Büro, und wenn ihr gleichzeitig was zu schreiben habt, hhhmmmkkkmmmhhh, dann kannst du an Peters PC ausweichen.“
    „Dann soll ich ausweichen! Warum nicht sie? Außerdem, wo soll dann der Peter arbeiten?“
    Walter räusperte sich besonders heftig.
    „Der Peter Schuster hat sich mit unserem Geschäftsführer auf eine Art vorgezogenen Ruhestand geeinigt, wobei er aber weiter als freier Mitarbeiter für uns tätig sein wird.“
    Lothar Sahm schüttelte empört den

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