König 01 - Königsmörder
mit einiger Zurückhaltung: »Wie lange wird es dauern, bis sie hier sind?«
Veira zuckte die Achseln. »Zwischen uns und der Stadt sieht die Landschaft Meilen um Meilen gleich aus. Ich kann nicht recht erkennen, wo sie sind. Sie werden schon kommen, Kind. Das ist alles, was ich mit Bestimmtheit sagen kann.«
Dathne, der plötzlich flau im Magen war, ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Gut. Das ist… gut.«
Aber was Asher dazu sagen würde, konnte sie nicht einmal erahnen.
»Unser Magier wird bald aufwachen, denke ich«, meinte Veira, während sie die Werkzeuge des Sehens beiseiteräumte. »Und es ist fast Zeit fürs Abendessen. Koch uns eine Mahlzeit, Kind, und ich werde mich zu Asher setzen, bis er sich regt.«
Dathne nickte. Sie wäre gern wütend gewesen über Veiras herablassende Art, hätte gern voller Entrüstung ihre Rechte geltend gemacht, was Asher betraf – aber stattdessen fühlte sie sich erleichtert. Und dann schuldig. Sie wünschte sich verzweifelt, ihn zu sehen. Sie hatte Angst, ihn zu sehen. All die verborgenen Wahrheiten würden bald offenbar werden…
»Es wird alles gut gehen«, sagte Veira. In ihren Augen stand ein warmer, wissender Ausdruck. »Wenn wir der Prophezeiung vertrauen, wird alles gut gehen.«
In seinen Träumen segelte Asher.
Der Himmel war eine blaue Schale über ihm, mit nur wenigen einherhuschenden Wolken, und die Sonne spielte hinter ihnen Verstecken. Eine steife, salzige Brise füllte das Segel und zerrte an seinem Hemd. Der Fischkutter, der zwar nicht brandneu war, aber dennoch seetüchtig und von fröhlichem Grün und Blau in seiner frischen Tünche, hüpfte über die Wellen wie ein eifriges junges Fohlen. Der Name des Bootes war
Amaranda.
Lachend streckte er die Hände aus, um das erste Netz zurück an Bord zu ziehen. Lachend gesellte Pa sich zu ihm, und gemeinsam spannten sie mit einem angestrengten Lächeln die Muskeln an, während der Fang in seiner ganzen feuchtschuppigen, klatschenden Pracht an Bord kam…
»Pa!«, sagte Asher und richtete sich in seinem Bett auf.
»Ganz ruhig«, erwiderte eine sanfte Stimme an seiner rechten Seite. »Es könnte sein, dass sich in deinem Kopf alles ein wenig dreht.«
So war es. Von Schwindel erfasst, ließ er sich wieder auf die Kissen fallen und wartete darauf, dass die Welt um ihn herum stillstand. Die Stimme gehörte einer Frau. Alt. Und ebenso unvertraut wie das Zimmer. »Wo bin ich?« »In Sicherheit.«
Es brannten keine Lampen; er konnte das Gesicht der Sprecherin nicht erkennen. »Wo?« »In meinem Haus.« »Und wer bist du?«
»Eine Freundin. Die Freundin von Freunden. Aber ganz ruhig jetzt. Deine Feinde sind weit fort, und sie werden dich hier nicht finden.«
Er griff sich unbeholfen an den Hals. »Ich bin nicht tot.« Es war eine Art von Entdeckung und eine willkommene Überraschung.
Ein heiseres Kichern. »Nein, Kind, bist du nicht.«
Ein Wirrwarr von Erinnerungen ging ihm durch den Sinn. Der Käfig. Ungezählte Gesichter auf dem Marktplatz, Lärm. Der Henker mit seiner Axt. Das Glimmfeuer, das ständig Funken spie. Das Gefühl des hölzernen Henkerblocks unter seinem Hals. Der Schmerz in seinen Handgelenken und Knöcheln, als er auf seinen Tod zuging. Der Gestank seines eigenen Urins und Schweißes. Pellens grimmiges, mitleidloses Gesicht.
Gar.
Er versuchte abermals, sich hinzusetzen. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit war sein Körper frei von Schmerzen. »Wie bin ich hierhergekommen? Was geht hier vor? Verflixt, Frau, wer
bist
du?«
Eine raue Hand erschien in der Dunkelheit und drückte ihn herunter. »Die Leute nennen mich Veira.«
Seine Muskeln fühlten sich an wie durchweichtes Brot. »Welche Leute?« »Einfach Leute.«
»Die Menschen, die mich gerettet haben?« »Das ist richtig.«
Er wünschte, es hätten mehr Kerzen gebrannt, damit er das Gesicht dieser Veira hätte sehen können. »Ich will sie kennenlernen.«
»Das kannst du nicht, Kind. Noch nicht. Aber eines baldigen Tages, hoffe ich. Sofern die Prophezeiung es will.«
Prophezeiung? Was für eine Prophezeiung? »Wer bist du, mir etwas abzulehnen? Ich will sie kennenlernen, habe ich gesagt!«
»Und ich habe gesagt, noch nicht!«, fuhr sie ihn an, und jetzt klang ihre Stimme hart.
Ein weiterer Erinnerungsfetzen: Laute Schreie und eine harsche, drängende Stimme in seinem Ohr, die fragte:
»Willst du weiterleben?«
Jetzt setzte er sich tatsächlich hin, ohne auf seinen geschwächten Körper zu achten oder auf die Hand, die noch immer auf
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