König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)
die fremde Richtung schauend, ich möchte dir, ehe wir jetzt nach Hause gehen, die Wahrheit über dich sagen. Ich schweige und zittere ein wenig. Wen, der kurz davor ist, die Wahrheit über sich zu erfahren, schaudert’s nicht? Und wie ein Zauberer zieht der Reisende aus der Hosentasche ein Blatt, und dunkle, große Löcher schauen daraus wie Augen auf mich, verlorene Augen, Augen, um die herum mein Finger einmal einen zarten Kreis zog. Und siehe da. Ein Regentropfen ist hängen geblieben an den Wimpern. Ich beuge mich nach vor und küsse mit geschlossenen Augen den Regentropfen. Und kaum, dass ich ihn küsse, pocht was Weiches und Zitterndes in meinen Händen. Die Katze! In meinen Armen liegt die Katze, die der Menschenerforscher vom Balkon hinunterwerfen muss, um zu beweisen, dass immer etwas schon Bewiesenes noch einmal bewiesen werden kann. Und der Reisende? Ist fort von hier. Ich könnte jetzt weinen, aber ich werde nicht weinen. Ich werde durch die Allee nach Hause gehen, mit der Katze im Arm, und mich auf etwas freuen.
Zuhause, in meinem Zimmer, steht das Fenster offen. Mitten im Winter! Mit der Katze im Arm trete ich zur Fensterbank. Lampe, bist du einverstanden? Und scheinst immer noch auf den einzigen Satz, der auf dem Blatt hier am Boden liegt: Ich bin aufgenommen, ja, aufgenommen. Die Katze springt aus meinen Armen aufs Blatt und legt sich auf den Satz. Gleich wird sie aufstehen, einen Buckel machen, und sich wieder hinlegen, um sich auszuruhen, bevor sie ihr Gemach auf dem Satz hinterlässt. Dann allerdings werde ich das Blatt in den Ofen legen oder sonst wie verbrennen, in einer kleinen, lodernden Flamme, und die Frau am Fenster wird sich die Hand vor den Mund halten. A-A-A möchte da vielleicht heraus kommen, aber das geht jetzt nicht, das geht nicht. Später vielleicht, ein anderes Mal. Ich schließe das Fenster und drehe mich, die Ellbogen auf der Fensterbank aufstützend, mit dem Rücken zur Straße in mein Zimmer hinein. Auch das Gedicht auf dem zerbrechlichen Ton schweigt jetzt. Hörst du, Gedicht, sag mir bitte jetzt lieber nichts! Der Ton an der Wand vibriert und schaukelt leicht hin und her. Habe ich mit dem Fuß auf den Boden gestampft? Ich weiß es nicht. Und ihr, Unglück, Feigheit, Lüge, wisst ihr es? Sie bewegen die Köpfchen, wie die Regentropfen aus dem Bleistifttext, den sie statt Professor Icks geschrieben hatten, um ihn ihm gar nicht vorzukommen. Ja, das alles gibt es, und niemand hätte es gedacht. Wenigstens ich nicht, ich am allerwenigsten. Bin ich deshalb hier eingeschrieben? Ach was! Zeit, an Jakob zu schreiben, Zeit für meinen unendlichen Brief! Wenn nicht der König am Fenster erschiene, den Kopf schüttelte, und mit Schnee endlich, endlich auf die Scheiben schriebe. Ja, endlich, endlich.
Lieber Jakob, endlich schreibe ich Dir wieder, und ich schreibe Dir gegen die bange Empfindung, nichts mehr zu sagen zu haben. Es geschieht ja so wenig hier, eigentlich gar nichts. Vom Hörsaal geht’s in den Lesesaal, wo ich zwischen zwei Buchreihen in Bildern träume, allerdings nicht mehr davon, Professor, Moderator-Mediator oder etwas Ähnliches zu werden. Ich glaube, daraus wird in meinem ganzen Leben nichts. Die Hörsäle brauchen mich nicht, so einfach ist das, die Hörsäle brauchen einen Narren oder einen Mundschenk, der darauf achtet, dass der Wasserhahn undicht bleibt, denn undichte Wasserhähne verflüssigen das Zuhören. Und dann wieder bestärken mich die Tropfen darin, das Bangen vor dem Irrtum zu verlieren. Und je mehr ich beim Zuhören zerfließe, desto weiter muss ich aufs Eis hinaus fahren, wo’s auf mich wartet, und Achterschleifen in die dünne Schneedecke zeichnen. Eigentlich gut so, sehr gut sogar. Was soll ich denn sonst tun? Ich. Verstehst Du? Es hat was Schönes, da draußen herum zu kreisen und zu kurven und dann und wann zu einem Sprung anzusetzen, nach dem man mit zittrigen Beinen, aber elegant und glücklich, am Boden landet. Einmal wird ein einsamer Sessel auf dem weiten Eis stehen, und die Hochhauslichter wollen sich unbedingt ringsum und ganz unregelmäßig, einmal dahin, einmal dorthin werfen, in kleinen, rasch verglühenden Sternen. Und ich verneige mich tanzend vor dem leeren Stuhl, inmitten der flink springenden Lichter, und frage, was, Sessel, würdest du dir wünschen, wenn du mein Publikum wärst? Und der Sessel rümpft die Nase und sagt nichts, nichts. Soll ich zum Beispiel einfach nur JA sagen? Und ich sage ja, ja, ja. Nein? Das ist zu wenig?
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