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Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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und darauf hindeuteten, daß ihre Persönlichkeiten Subpersönlichkeiten Agenten und Talente ausgeglichen und wohlproportioniert waren. Ihr Denkvermögen war im Gleichgewicht, ihr Ego in guter Verfassung und fit; sie wußte, wer sie war und was sie drauf hatte; sie wußte, wie sie sich innerlich aufrecht halten und sich von unvermeidlichen Fehltritten erholen konnte, ohne ein Trauma davonzutragen; sie war eine vernünftige junge Frau und reif für eine Beförderung. Das zeigten die Printouts, aber in ihren introspektiven Augenblicken hielt sich Mary mit einem endgültigen Urteil zurück.
    Obwohl sie gut verdiente, warf sie ihr Geld nicht zum Fenster hinaus. Der einzige Luxus, den sie sich leistete, war ein Apartment hoch oben am Knöchel des zweiten Fußes von Nord-Comb Zwei. Mit seiner sparsamen, modischen Einrichtung, den warmen Grautönen und den samtigen Purpur- und Schwarztönen war Marys Zuhause ein perfektes Versteck für ihre Hochglanz-Mitternachtshaut. Sie konnte sich davon aufsaugen lassen und dieses selbstsichere Ego ablegen, konnte in der Einrichtung verschwinden und sich die Sonne aus erster Hand durch große Fenster ohne Vorhänge auf den Leib brennen lassen. Für Flitterkram hatte sie nicht viel übrig. Sie interessierte sich nicht für Kunst oder Literatur und war auch nicht neidisch auf jene, die es taten; ihr Leben war nun einmal der Jagd und nicht der Lobpreisung des menschlichen Geistes gewidmet.
    In ihren privaten Aktivitäten war sie gleichermaßen genügsam. Sie praktizierte die fünf kraftzentrierenden Übungen, darunter den Kriegstanz, bei dem das Ich mit sich selbst kämpfte, was seinen Ausdruck in körperlicher Bewegung fand. Das tat sie in einem kleinen, leeren Zimmer mit weißen Schaumstoffwänden, wie ein schwarzer kalligraphischer Strich auf einer nackten Leinwand.
    Als sie ihre Übungen beendet hatte, zog sich Mary sorgfältig die Uniform an, wobei sie lebenswichtige Stellen in einen Monomolnetzpanzer einschloß und Stützstiefel anlegte, die dafür sorgten, daß ihre Beine nicht müde wurden, wenn sie lange herumstehen mußte. In ihrem Rang trug man im täglichen Dienst keine Waffen. Man erwartete nicht von ihr, daß sie sich an einem richtigen Kampf beteiligte. In den letzten fünfzehn Jahren war die Gewalttätigkeit in den USA merklich zurückgegangen. Die therapeutisch Behandelten waren nicht auf Gewalt aus.
    Ihre dunklen Augen waren gelassen und ruhig, aber weder leer noch ausdruckslos. Ihre transformierte Stimme war tief, aber auf angenehme Weise feminin, kraftvoll, aber mütterlich. Sie konnte Wiegenlieder singen oder eine PD-Warnung knurren.
    Die gelassene, in sich selbst ruhende, hochgewachsene, nachtschwarze Mary Choy hatte alles, was ihr Herz begehrte, nur eines nicht: ihre Vergangenheit. Deren Reste lagen einbalsamiert in der Ecke einer einzigen Schublade ihrer Schlafzimmerkommode, eine Schachtel mit alten Familienfotos, Disketten und Speicherwürfeln.
    Sie blieb vor der Kommode stehen, wobei sie ein bestimmtes, sehr klares instinktives Gefühl in bezug auf Theodora befiel, und befingerte die Schublade. Sie bückte sich, um Faulpelz zu streicheln, ihre rot getigerte weiße Katze. Sie rieb sich an ihren Stiefeln; ihre kastanienbraunen Augen waren weise und geduldig, und sie schnurrte tief in der Kehle. Faulpelz war die einzige lebende Verbindung mit ihrer Kindheit. Marys Eltern hatten sie ihr geschenkt, als sie ihren Abschluß an der High School gemacht hatte.
    »Theodora Ferrero ist am Apparat«, meldete der Manager.
    »Schalt mich auf Vid«, sagte Mary. »Ich nehme das Gespräch im Wohnzimmer an.« Sie ging rasch zum Telefon, bückte sich kurz, um eine Falte im Monomol glattzustreichen, und richtete sich beherrscht wieder auf. »Hallo, Theo. Hab seit Monaten nichts von dir gehört. Schön, daß du dich mal meldest.«
    Mary konnte ihre Freundin nicht sehen. Ferreros Vid war ausgeschaltet. »Ja. Danke für den Rückruf.« Angespannte Stimme. »Ich dachte, du würdest es gern erfahren.«
    »Hast du’s geschafft?« Mary war sicher, daß Theodora die Beförderung bekommen hatte.
    »Bin übergangen worden«, sagte Ferrero. »Zum drittenmal jetzt. War meine letzte Chance. Die haben mir geraten, nochmal eine Therapie zu machen.«
    Mary machte ein überraschtes und mitfühlendes Gesicht. »Das mußt du mir genauer erzählen. Ich würde dich gern sehen, Schatz; mein Vid ist an.«
    »Ich weiß«, sagte Ferrero. »Aber ich nehme dein Bild nicht an.«
    »Wie bitte? Was ist?«
    »Ich

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