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Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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sich einer freiwilligen Transformation unterzogen hatten (den Liberalen vor Raphkind sei Dank), hatte sie es innerhalb von dreieinhalb Jahren auf die schnelle Tour zum Lieutenant bei der Ermittlungsleitung gebracht. Sie war jedoch aus freien Stücken Ermittlerin geblieben, weil sie das Gefühl hatte, dort am richtigen Platz zu sein. Es war nicht der Tod, was ihr daran so gefiel, sondern das Aufklären von Geheimnissen und das Einfangen der Täter. Es machte ihr Spaß, die sozialen Raubtiere zu stellen, die Parasiten und die untherapierten Außenseiter.
    Mary glaubte immer noch, daß sie dabei half, die Stellung gegen die Selektoren und andere zu halten, die Vergeltung üben wollten, ohne sich dabei um die Gesetze zu scheren. Auf diesem Weg würde man unvorstellbares Elend über die Menschen bringen. Ihr eigener Weg war der einer schnellen, entschlossenen Rechtsprechung, die zu Zwangstherapie oder Gefängnis führte. Fünfundneunzig Prozent aller Verbrechen konnten geklärt werden; danach war es Aufgabe der Therapeuten, die perversen Triebe und Motivationen zu finden und auszumerzen.
    Zwei Stunden nach ihrer Ankunft am Tatort hatten PD-Fähnriche einen möglichen Zeugen angeschleppt, einen hochgewachsenen, hageren, ergrauenden Mann namens R Fettle, einen Freund des Wohnungseigentümers E Goldsmith. Mary hatte das Innere der Wohnung bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu Gesicht bekommen, aber sie war von den Spezialisten am Tatort informiert worden; der Verdacht fiel schwer auf den Eigentümer. Bei der Befragung hatte Fettle wenig zu erzählen gehabt und war daraufhin wieder entlassen worden. Seine Reaktion war bei ihr haftengeblieben: Völlig verwirrt wie ein aus dem Wasser gezogener Fisch stotterte er herum, wußte angeblich von nichts und war von ihrer Andeutung schockiert, er könne gerichtlich belangt werden, weil er niemanden davon unterrichtet hatte, daß Goldsmith therapiebedürftig gewesen war. Der Mann hatte wirklich Angst gehabt. Zuerst hatte sie Verachtung für dieses Häufchen Elend mit seinem ganzen unkoordinierten, entwurzelten Denken empfunden.
    Sie hob einen Arm und beobachtete, wie das Wasser Perlen bildete und in dünnen Bächen an ihrer delphinglatten Haut herabrann. Jetzt tat ihr Fettle leid. Sie war tro shink grob zu ihm gewesen. Mary war nicht an Mordfälle gewöhnt. Fettle wußte nichts. Aber wie konnte ein Freund nicht wissen, daß Mord im Bereich des Möglichen lag?
    Genug Essig. Sie stieg aus der schwarzen Plastikwanne und trocknete sich ab, wobei sie einen Zwölfton-Popsong vor sich hinsummte. Der kleine, jadefarbene Arbeiter – ein chinesisches Modell, das sie nach ihrer letzten Gehaltserhöhung seitens der Zeitarbeitsagentur gekauft hatte – wartete mit einer gebügelten und sauber gefalteten Uniform auf sie.
    Auf Marys Pfiff hin las ihr der Hausmanager die eingegangenen Mitteilungen vor. Seine Männerstimme folgte ihr durch drei Zimmer, als sie nach einem Silbererzkringel suchte, den sie verlegt hatte; sie wollte ihn sich ans Ohr hängen. »Und dann wäre da noch ein Anruf von Junior Lieutenant Theodora Ferrero. Keine Mitteilung«, schloß der Manager.
    Sie hatte seit drei Monaten nichts mehr von Ferrero gehört. Theodora war zur Beförderung vorgeschlagen worden, und Mary hatte angenommen, daß ihre Freundin ganz von der Büffelei in Anspruch genommen war. Sie hatten sich auf der Akademie angefreundet; Ferrero hatte gerade eine kleinere therapeutische Behandlung hinter sich und wirkte ausgeglichen, aber verletzlich. Mary, die gerade ihre Transformation abgeschlossen hatte und ähnlich empfindlich war, hatte ihre Mitschülerin sofort sympathisch gefunden. Danach waren härtere Zeiten gekommen. Theodora war nicht über den Rang eines Junior Lieutenant hinausgelangt und bei der Beförderung zweimal übergangen worden. »Ruf sie zurück. Unterbrich mich, wenn du sie am Apparat hast«, befahl sie.
    Im Gegensatz zu zwei Dritteln der Millionen, die nach den Combs und den hochbezahlten Zeitarbeitsjobs strebten, hatte Mary Choy es ohne Therapie geschafft. Neben der Haustür hing ihre jüngste Therapiebedarfseinschätzung durch das Department in einem Rahmen. Sie war eine Natürliche im eigentlichen Sinn des Wortes, ein Naturtalent; sie hatte die Tests der Zeitarbeitsagentur gleich im ersten Anlauf und alle jährlichen Prüfungen des LAPD ebenso mühelos bestanden. Die Einschätzung war ein gleichmäßig ansteigendes Kreuz, ein Printout von Hirnfunktionskreisen, die alle am richtigen Platz waren

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