Königsallee: Roman (German Edition)
Siesta einzulegen. Vom Büro in der Szechwan Road waren es nur zwanzig Fußminuten zum Old Victorian Hotel, wo er seit vierzehn Jahren, genau seit Mai 1940, Quartier bezogen hatte. Es war das übliche. Selten hatte er in Übersee anders als in Hotels gewohnt. Wohnungen zum Mieten existierten kaum. In Indonesien oder am Huangpu ein Haus zu bauen, war Unsinn. In den diversen Herbergen seines Lebens, dem Hotel Centraal auf Sumatra, nun dem Old Victorian, war er ideal versorgt. Gutes Frühstück wurde auf dem Zimmer serviert, Bad und Böden wurden täglich geputzt, abends an der Bar konnte man dösen, mit Durchreisenden ins Gespräch kommen oder zum Geburtstag mit Anwar eine Flasche Champagner ordern. Wie geschmeidig, wie angenehm, wie wärmeumflossen war das Leben in Asien. Für den Mittagsschlummer legte er sich aufs breite und fast genüßlich mitknarrende Bett, nahm das Rumoren aus den Gassen nur noch distanziert als eine Lebensmelodie wahr und knurrte sich in ein Schläfchen. Um halb drei weckte ihn Anwar, der gerne umherspazierte, und hatte schon ein frisches Hemd für den Nachmittagsdienst bereitgelegt. Wohlig vergingen die meisten Tage. Das Getöse Shanghais war selten bedrängend. Stimmen, Radklingeln, Hupen der Buicks, Citroëns vermischten sich zu einem Rauschen, ab und zu von einer Dampfersirene als Baß durchtönt. Große Stille oder schweres Maschinenlärmen erschreckten ihn jetzt.
Doch mit dem Rumoren Shanghais, den eleganten oder von Elend gekerbten Gesichtern der heißen Metropole war jetzt Schluß. Schon seit längerem war es mit dem Frachtverkehr, den die dänische Firma über die Jangtse-Mündung abwickelte, bergab gegangen. Bereits vor dem Einmarsch der Truppen Mao Tse-tungs in das Handelszentrum waren alle Sorten von Lieferungen aus dem Hinterland ins Stocken geraten. Und der Import von Getreide aus den USA, Dünger aus Chile, Baumaschinen aus Skandinavien war wegen des Devisenmangels des roten Regimes annähernd zusammengebrochen. Die Goldreserven der Bank of China hatte die bürgerliche Front unter Tschiang Kai-shek auf ihrer Flucht nach Taiwan verschifft. Nach dem blutigen Umsturz auch am Jangtse – zu Hunderten waren die Parteigänger des Generals an Laternen und Brückenträgern aufgeknüpft worden – hatten die Kommunisten die fremden Handelskontore, gewiß auch Filialen der Ausplünderung Chinas, noch eine Weile geduldet. Nun aber stand das Büro unter der Leitung von Anders Juhl vor seiner Zwangsschließung. Die junge Volksrepublik wollte autark werden, schwedischer Stahl sollte durchs Einschmelzen von Eisenschrott ersetzt werden, und ausländische Kaufleute mochten sich selbst in Shanghai bald nicht mehr ihres Lebens sicher sein. Immer häufiger wurde man in Restaurants nicht mehr bedient. Sonst freundliche Chinesen konnten im Nu bestialisch werden. Die Zeichen standen auf Sturm.
Die zwei Zimmer im Victorian hatte Klaus Heuser gekündigt. Einige Hotelangestellte, denen eine gefährliche Zukunft drohte – vielleicht vor allem dem unvergleichlich soignierten Barkeeper Mister Henry, der als Lao Wang in einem Zhejianger Dorf zur Welt gekommen war –, hatte er zu einem Abschiedsdrink eingeladen. Einer der Kellner hatte geweint, in anderen Augen war das Triumphieren über Landfremde zu lesen gewesen. Adieu, quirliges, gesetzloses, ächzendes Shanghai. Doch er hatte zwangsläufig die Fühler schon nach einem rettenden Ufer ausgestreckt. Gleich zwei Empfehlungsschreiben für Hongkong und die Firma Rieckermann hatte er sich besorgt. Selbstverständlich eines von Herrn Juhl: Mr. Heuser is very pleasant to work with, and we have been happy to have him with us . Das zweite, sozusagen als Ass, von der Hand des schwedischen Generalkonsuls Grauer: I frequently met officially as well as privately Mr. Klaus Heuser. I got to know him as a winning and courteous person. In view of the above it is a great pleasure for me to recommend him to future potential employers .
Shanghai entschwand, wie Padang auf Sumatra vergangen war. In Hongkong, dem vom Krieg gerade reparierten Nest am Perlfluß, wohin sich jeder, der Leben und Kapital retten wollte, flüchtete, standen die Briten noch Gewehr bei Fuß und salutierten ihrem Generalgouverneur. Rieckermann verschiffte von dort aus Rattan in den Westen. Und in den Spielbanken von Macao, per Fähre gut erreichbar, konnte man portugiesischen Geschäftsleuten und ihren Begleiterinnen beim Jeu über die Schulter schauen. Wie lange dort noch katholische Glocken läuten
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