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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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Anna will nicht, daß sich ihre Mutter verliebt. Das wäre unsittlich für eine betagte Dame. Doch Rosalie wird immer verrückter nach Ken: Bin ich eine schamlose Alte? grübelt sie. Nein, nicht schamlos, denn vor ihm schäme ich mich, vor seiner Jugend, und weiß nicht, wie ich ihm begegnen soll und ihm in die Augen, die schlichten, freundlichen Knabenaugen blicken soll. Ich aber bin mit der Lebensrute geschlagen, er selbst, der Nichtsahnende, hat mich damit gefitzt und gepfeffert. Schmackostern – ein Frühlingsritual – hat er mir angetan. Nun läßt der Gedanke an seine weckenden Rutenstreiche mein ganzes Inneres überschwemmt, überströmt sein von schamvoller Süßigkeit. Ich begehre ihn – habe ich denn je schon begehrt?»
    «Puh, Drama», konstatierte Anwar, der den Sinn der Liebeseruption erfaßt hatte.
    «Rosalie wird immer besessener, frischer und auch hemmungsloser. Sie zupft Ken am Ohrläppchen, macht mit ihm eine Rheinpartie, bummelt durch Parks, wo er vor ihr auf einem Steinlöwen reitet. Doch vor allem: Wie bei einem biologischen Wunder kehren Rosalies Blutungen zurück. Sie wird wieder fruchtbar.»
    Anwar zeigte sich perplex.
    «Dem Glück, der Liebe steht nichts mehr im Wege. Denn Ken findet die aufgeblühte Dame sehr nett. Rosalie weist ihre starre Tochter, bei welcher der Geist die Triebe ersetzt, zurecht: Kind , ist Glück – Krankheit? Leichtfertigkeit ist es freilich auch nicht, sondern Leben, Leben in Wonne und Leid, und Leben ist Hoffnung – die Hoffnung, über die ich deiner Vernunft keine Auskunft geben kann.»
    « Immer Hoffnung, ja. Also ist doch alles gut.»
    «Nein. Durch die Liebe, die Hoffnung fühlt sich Rosalie verjüngt und selig. Sie hat den Rausch des Lebens entdeckt und wird immer tollkühner und wird mit Ken vielleicht sogar auswandern», die Blätter glitten durch Klaus’ Finger, «aber sie ist eine Betrogene, so heißt die Geschichte, die Natur, die heillose, hat sie betrogen, nicht ihre Fruchtbarkeit ist zurückgekehrt, sondern der Krebs läßt sie bluten. Sie wird Ken nicht wiedersehen, sondern sie stirbt. Ein schwarzer Schwan auf einem Teich hatte es gerade so verheißen. Aber ist sie verzweifelt? Ungern geh’ ich dahin, verabschiedet sie sich, von euch, vom Leben mit seinem Frühling. Aber wie wäre denn der Frühling ohne Tod? Ist ja doch der Tod ein großes Mittel des Lebens, und wenn er für mich die Gestalt lieh von Auferstehung und Liebeslust, so war das nicht Lug, sondern Güte und Gnade», las Klaus die Schlußzeilen vor, «Rosalie starb einen milden Tod, betrauert von allen, die sie kannten .»
    Anwar war aufgestanden und lugte über Klaus’ Schulter auf das Gedruckte. Er umfaßte die Schultern des Freundes und drückte sie. «So traurig. Altersweisheit? Aber sie hat geliebt.»
    «Genau, das ist es wohl. Immer holt er den Tod in seine Bücher.»
    «Ja», sagte Anwar, «Flucht vor das Leben? Oder», besann er sich, «wie Kostbarkeit vom Leben vor dem Tod. Dein Dichter.»
    «Na, nicht nur meiner.»
    «Du bist Ken Keaton.»
    «Purester Unsinn. Der ist blond und Amerikaner.»
    «Aber Düsseldorf und Professor von Kunstakademie. Ich will Betrogene nicht lesen. Sehr traurig für Reise.»
    «Aber sie ist dankbar fürs Leben. Und einen Herrgott, der alles versöhnt, gibt es in der Geschichte nicht.»
    «Dann eben nicht», meinte Anwar und küßte Klaus aufs Haar, das nach asiatischem Öl duftete.
    «Er schreibt, was andere leben. In der Schweiz.»
    Anwar wirkte skeptisch: «Viele Jahrzehnte auch viel Ereignis. Besuch ihn. Ich mit, aufregend.»
    «Was soll ich ihm sagen?» Klaus blickte ins Gesicht über sich: «Guten Tag. Ich bin Klaus vom Strand und komme aus Shanghai. Was habe ich Ihnen angetan? Warum kaufte ich mir nach achtzehn Jahren in der Fremde zuerst ein Buch von Ihnen?»
    «Ihr ein Paar.»
    «Es handelt sich um Kunst.»
    «Spannend.»
    «Nach Meerbusch fahren wir morgen. Heute abend zeig’ ich dir die Altbierkneipen.»
    «Gut. Suff. Macht auch Spaß», bekannte Anwar, «aber vorher noch Schläfchen.» Er knöpfte den obersten Hemdenknopf auf. «Nicht Schweiz? Viel näher als Peking von Jangtse.»
    «Ein andermal.»
    «Er alt. Vielleicht viel zu sagen.»
    «Oder nichts. War ja keine Mädelromanze.»
    Klaus sann den von Zeitnebeln jetzt nur noch dürftig verborgenen Münchner Wochen nach. Bist Du’s mir? Eindringlich die Frage zweimal hintereinander. Im Schauspielhaus, vor großem Publikum. War er, in seiner früheren Gestalt, bis jetzt geliebt

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