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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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worden?
    In der Stille der Dachetage, wo moderater Publikumsverkehr herrschte, fiel neben gelegentlichem Knacken im Dachgebälk unter der Augustsonne jeder Laut auf. Ein Zimmer war auf- oder abgeschlossen worden. Irgendwo war Glas oder Geschirr zu Bruch gegangen. Mehrmals allerdings war vom Gang her ein längeres Tappen, Schlurfen zu vernehmen gewesen, fast auch ein Schaben wie an Wand und Türen. Zuerst hatte Anwar durch einen Spalt nachgeschaut und von hinten eine Gestalt in Trenchcoat und mit Baskenmütze erblickt, die sich zögerlich und ein wenig taumelnd entfernte. Eine Weile später war Klaus Heuser von anderen Geräuschen irritiert gewesen, hatte sich geradezu belauscht gefühlt und seinerseits hinausgespäht. Eine hagere Erscheinung mit Baskenmütze schien es auf dem Gang plötzlich eilig zu haben. Nun war gedämpft nur das Geplapper und Gekicher von zwei Mädchen zu hören, die irgend etwas mit einem «Riesenrad» im Sinn hatten. Anwar überlegte, ob er duschen sollte, Klaus hielt weiterhin Die Betrogene in Händen und sann in den Himmel. Rheinische Wolken zogen vorüber, die übliche Sommerschwüle der Heimat spürte er nach Jahren in der Tropenfeuchtigkeit nicht. Dennoch hatte er Sehnsucht nach einem Gewitter wie in Jugendzeiten, das blitzend über Düsseldorf herunterkrachte. Keine Monsunmonate würden folgen, sondern rasch geklärte Luft. Eine unverbrüchliche Heimat besaß er wohl nicht mehr. Er sah Anwars Gamaschen, die stets bemerkenswert weiß blieben, auf der Kommode. Auf deren Marmorplatte erinnerte eine nutzlose Waschschüssel mit buntem Krug an frühere Gegebenheiten. Beides würde man beim nächsten Modernisierungsschub wegwerfen. Oder waren die Gefäße jetzt schon als Dekor gemeint? Auch die Tapete war eine Antiquität, grünlich gestreift mit Zierkordel. Hier oben ließ es sich unaufdringlich leben, losgelöst von fremden Ansprüchen. Spatzen tschilpten für einen geschäftigen Augenblick auf dem Mansardengeländer. Klaus harrte auf den Stundenschlag einer Kirchturmuhr. Den Klang hatte er seit vielen Jahren nicht mehr gehört und vergessen gehabt. Anwar drehte sich auf dem Lager und schien einzuschlummern. Was wirkte bezaubernder als ein Mensch, der sich in Traumweiten verlor, für sein Schlafweilchen schutzlos war, sich aber geborgen fühlte? Das indonesische Gesicht und Haar auf gestärktem Kissen. Auch Klaus Heuser fielen nach einem anstrengenden Vormittag, dem Linseneintopf bei Deuser auf seinem Stuhl die Augen zu, die Bilder vermischten sich, die kreiselnden Ventilatoren im Kontor der East Asiatic Company, die Führerscheinprüfung mit Tropenhelm in einem Cabriolet in Padang, Tanztee mit deutschen Seeoffizieren der Emden im Hotel Centraal, Mutters weinender Jubelschrei, als sie nach achtzehn Jahren den Sohn umarmte, den Begleiter musterte, ihm die Hand schüttelte, Nordsee, Blutungen, Vaters Staffelei, Ritte ins Hochland zu den Kautschukhändlern, der Jan-Wellem-Platz mit verrußter Sinalco-Flasche, der letzte Karnevalsumzug vor dem Anheuern und der Glutpassage an Aden vorbei, Lampions, oft Lampions bei Festen, Frachtscheine, sich sinken lassen, Arbeit, Palmen, weiße Hosen, sich sinken lassen, zu viel, nein, viel, Geschenk des Lebens, wie mutig, es herausgefordert zu haben, Spatzenplausch, gut so, aber sinken lassen, in der Lebensmitte durfte man sich Ruhe gönnen, Klaus’ Kopf neigte sich schräg nach vorn, der Atem blies sacht über die Brust.
    «Ah», hallte es durch den Raum, «da ist er ja! Und hier bin ich.»
    Ob es geklopft hatte, wahrscheinlich, spielte keine Rolle mehr. Anwar saß kerzengerade im Bett, Klaus kippte mit seinem Stuhl fast hintüber. Sein Gesicht hing schlaff. Die Frau intonierte:
    «Schlaf ein, mein Kind, schlaf ein ,
Ich will schon für Dich beten –
Laß doch die dummen Sorgen sein – ,
Man soll nicht drüber reden .
Verschließ die Augen und das Ohr ,
Verschließ die Fensterläden –
Der Butzemann steht vor dem Tor – ,
Man soll nicht drüber reden .
    Nein, lieber etwas Heitereres, und, ich garantiere, auch aus eigener Feder:
    Der Mensch ist klug und täglich bringt er’s weiter .
Er findet alles, was Erfindung heißt ,
Wir werden täglich heller und gescheiter ,
Ein wahres Wunder ist der Menschengeist .
Ja und trotzdem, wir haben nichts zu lachen ,
Denn unsre Welt steht weinend auf dem Kopf ,
Da gibt es so ein paar fatale Sachen ,
Krise und Krieg in einem bösen Topf .
Wenn wir jedoch uns dahin einig wären:
Habgier und Haß schickt man zum Teufel

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