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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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möglich.»
    «Wahrscheinlich.»
    «Frankreich ist aus», kommentierte Anwar, «seit Sommer Indochina weg und frei. Dien-Bien-Phu», einigermaßen stolz nannte er den Ort der finalen Niederlage der französischen Truppen in Vietnam. Die Nachricht hatte sich in der heimatlichen fernen Welt wie ein Lauffeuer verbreitet. Europa verschwand, zuerst aus Indonesien, nun aus Hanoi und sicher bald von überall. Was machte Europa dann nur noch mit sich allein? Kleingliedrig und durcheinander? Aber wahrscheinlich waren die Europäer raffiniert genug, um sich auf andere Weise allerorten wieder einzuschleichen, durch Technik, Börse, Handel, durch Englisch, Französisch und Holländisch.
    «Hoffentlich bleibt die Oper von Hanoi in Betrieb, das Eisenbahnnetz intakt, und unattraktiv waren die Bälle zum französischen Nationalfeiertag am Mekong auch nicht, Feuerwerk, Marseillaise und Walzer», bemerkte der Europäer vielleicht etwas geschmäcklerisch.
    «Wir können selbst feiern», stellte der Freund klar. Die Rheinische Post umfaßte acht Seiten, so ließ sich manches zügig zur Kenntnis nehmen, Anwars Finger glitt unter Zeilen entlang. «Deine Leute fliehen in ssweites Deutschland.»
    «In die Sowjetzone? Nanu. Dorthin sollten wir mal, um zu sehen, wie es ist. Dresden ist ausgelöscht. Grausig. Die Bauern besitzen kein eigenes Land mehr, der Boden gehört jetzt allen. Die Ostdeutschen arbeiten nur noch zum Teil für sich selbst. Wenn sie freiwillige Nachtschichten einlegen, soll ein neuer Eisenbahnwaggon allen dienen. Ostdeutschland, Anwar, zahlt die große Kriegszeche. Sie müssen viel nach Rußland liefern und bekamen keine Pakete aus Amerika. Und dann ist an der Oder – ein Fluß – Schluß. Dahinter ist nicht mehr Deutschland, sondern die Volksrepublik Polen. Unvorstellbar», verwunderte sich der Heimkehrer mehr als sein Gefährte. «Volksrepublik heißt übersetzt Volksvolksache. Ungeschickte Bezeichnung. Breslau gibt es irgendwie nicht mehr, sondern völlig anders, vermute ich. Gottlob war ich nicht beteiligt, daß Deutsche alles Erbe der Väter zugrunde richteten. Wie Geisteskranke. Das Land wird sich nie mehr erholen. Die Schuld, die bleibenden Narben. Das ist der Preis. – Punktum.»
    «Punktum? Klingt wie Bandung und Padang.»
    «Punktum, itu berarti tamat, akhir», erläuterte Klaus Heuser das lateinische Diktum in der Inselsprache. Er erfuhr vom Bett her, daß gerade der «Präsident» des Bundesnachrichtendienstes, ein «Herr John», mit all seinem Wissen in die «Deutsche Demokratische Republik» geflüchtet war, und daß diesem westlichen Geheimnisträger der Chef der Hamburger Christlich-Demokratischen Union, der Bundestagsabgeordnete Schmidt-Wittmack mitsamt seiner Familie hinter den Eisernen Vorhang gefolgt war. War die Menschheit der Feindschaften nicht allmählich müde? Wir bauen eine neue Stadt , hatte so eine schöne, moderne Schuloper von Paul Hindemith geheißen, bei der er früher im Chor mitgesungen hatte? Gibst du mir Steine, rühr’ ich den Sand. Gibst du mir Wasser, rühr’ ich den Kalk … Das Lied hatte eindringlich, schlicht und verheißungsvoll geklungen, einige Jahre vor dem Auswandern. Ein privater Mittelweg zwischen Ansprüchen und Parteiungen war es allemal, nach einem Spaziermarsch bis hinaus zum Südfriedhof frei in Mansardenzimmern zu dösen, sich gelegentlich auszutauschen und manches mit möglichst gutem Gewissen auf sich wirken zu lassen. Was ließ sich Unverrückbareres bewerkstelligen? Das Dasein bliebe auch bei äußerstem Willensaufwand ein Impressionismus. Die Eindrücke lauerten rundum, die Sinne waren der Pinsel, Hirn und Gemüt die Leinwand. Mochte dermaleinst ein Kenner das Konzept deuten und sich an Details erfreuen. Es war sinnvoll, sich daran zu erinnern, daß der Mensch nicht allmächtig war, sondern bestenfalls heroisch oder geschmeidig flüchtig. Klaus Heuser blickte von seinen Buchseiten auf und genoß den Frieden. Wie brüchig der war! Wie schnell ließ sich in Rage geraten. Und Anwars Brüder, mit denen er in jungen Jahren sicherlich oft fröhlich sein Nasi-goreng aus dem Topf gelöffelt hatte, waren, wie sie beide wußten, an blutigen Racheakten gegen die Niederländer beteiligt gewesen.
    Der junge Herr Anwar Batak – der sich nicht nur gerne nach seinem kriegerischen Urstamm benennen ließ, sondern dort, wo genauere Herkunft angegeben werden konnte, auch als Sohn seines Bergkaffs unterschrieb: Sumayputra, manchmal vollständig als Anwar Batak Sumayputra

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