Königsallee: Roman (German Edition)
beinahe beklommen. Jetzt, da er aus unendlicher Ferne erstmals an den Rhein gekommen war, mußte nicht gleich eine weitere unbekannte Geschichte auf ihn eindringen. Die Kinowerbung war bedrohlich genug gewesen.
«Warum nicht in Mainz, in Stuttgart?» Auch Klaus war sichtlich irritiert und nippte nur vom Darjeeling.
«Und was schreibt er über hier?» fragte es vom Bett, wo Anwar an der Rückenlehne aufgerichtet saß.
Der Freund las: « Rheinländerin von Geblüt und Mundart, hatte Rosalie die Jahre ihrer Ehe in Duisburg verbracht, war aber nach dem Verlust des Gatten mit der achtzehnjährigen Tochter und dem um zwölf Jahre jüngeren Söhnchen nach Düsseldorf übergesiedelt, teils um der schönen Parkanlagen willen …» «Hofgarten», wußte Anwar. «… teils weil die Tochter Anna der Malerei zuneigte und die berühmte Kunstakademie zu besuchen wünschte. Seit einem Jahrzehnt bewohnte die kleine Familie ein Häuschen, das einem kleinen Kreis von Verwandten und Freunden, darunter Professoren der Maler- und auch der medizinischen Akademie gastlich offenstand .»
«Dein Vater», scherzte Anwar. Klaus blickte keineswegs heiter, sondern schien das Büchlein, auf dessen Umschlag ein Paar abgebildet war, in der flachen Hand zu wiegen. Königliche Hoheit lief als Film, Königliche Hoheit hatte er, wie einiges andere von Thomas Mann auch, vorzeiten gelesen. Nun, nach der Entdeckung des Erfolgsstreifens im Apollo-Lichtspiel angeregt, erinnert, seltsam aufgewühlt durch Hervorbringungen sozusagen seines Dichters – Thomas Mann, der ihn vom Sand aus beobachtet, der ihn in München in sein heiliges Arbeitszimmer geführt hatte, fast achtzig könnte er jetzt sein –, ein wenig neugierig hatte Klaus den Laden von Gansforth betreten und gefragt: «Entschuldigen Sie, Thomas Mann, lebt er noch, schreibt er noch?» Das hatte die Verkäuferin leicht verwundert bejaht und ihn vor ein Regal geführt: Doktor Faustus, Reden und Aufsätze, Joseph und seine Brüder, Meine Zeit – Buchrücken an Buchrücken ein immenses Werk. «Dann geben Sie mir doch bitte das neueste», hatte er gewünscht. «Krull müßte noch im Fenster sein. Dies ist auch neu», sie hielt ihm ein Bändchen hin und widmete sich wieder zwei Damen, die ein Tierbuch für einen Enkel suchten. Drei Mark fünfzig hatte er für eine schmale Erzählung bezahlt, die erst im vergangenen Jahr, also 1953, erschienen war. Solches Werk ließe sich auch zwischendurch auf einer Reise lesen. Was verfaßte der greise Herr, der ihn ehedem in ein Münchner Theater geladen hatte, zu Zeiten der Republik von Weimar? Der Gastgeber, der in den Kammerspielen beim morgendlichen Vortrag über ein Drama vom Pult beinahe direkt in die erste Reihe hinuntergesagt hatte: Er selbst aber schmachtet nach dem Kuß, in dessen Wollust, so ungefähr, sich der Dank der Schöpfung versammeln soll. – Bist Du’s mir? …
Nun saß er hier abermals mit Worten und Phantasien Thomas Manns, der sich im hohen Alter einen rheinischen Schauplatz für ein Geschehen ausgesucht hatte. Klaus Heuser wurde unheimlich zumute. Umklammerte Thomas Mann quer über den Globus sein Leben? Unsinn. Der Berühmte stellte keine Fallen, und er, Klaus, hatte vieles andere erlebt.
«Was passiert denn?» fragte Anwar, der schon auf Sumatra erfahren hatte, daß Klaus mit einer Art Buddha der westlichen Welt vertraut gewesen war.
«Eine schauerliche Geschichte», wandte sich Klaus Heuser um: «Rosalie von Tümmler, die Hauptfigur, ist eine alternde Witwe. Sehr betrübt ist sie, daß – eben wie bei einer Frau – ihre Regel –» «Hmmm?» «– ihre Blutungen aufhören. Damit ist sie welk und wie tot, meint sie.»
«Nicht schön», befand der Indonesier.
«Für ihren Sohn engagiert sie zum Englischlernen einen jungen Amerikaner, Ken Keaton», faßte Klaus zusammen. «Ken Keaton ist ein munterer Bursche», mangels passender Merkzeichen hatte Klaus ein paar Zigaretten zwischen die betreffenden Buchseiten geklemmt, « und war vorzüglich gewachsen, was sich trotz seiner lockeren, weiten Kleidung ersehen ließ, jugendlich kräftig, mit langen Beinen und schmalen Hüften. Sehr anständige Hände hatte er auch, mit einem nicht zu schmuckhaften Ring an der linken .»
«Sie verliebt in Amerikaner?»
«Klar.»
«Go on.»
«Ihre Tochter Anna, die hinkt und klug ist – immer irgendein Gebrechen bei ihm. Aber durch Gebrechen, ihren Ausschluß vom rüstigen Leben, werden sie um so gescheiter.»
«Viel Preis.»
«Also die altkluge
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