Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
ihr aus der Hand gefallen waren, auf den Boden klatschten, riss sie aus ihren Träumen. Hastig sammelte sie alles auf. Sie liebte Paul mit allen Fasern ihres Herzens – und gerade deshalb schob sie den Gedanken, dass seine Einstellung zum Krieg so ganz anders als die Ihre war, einfach beiseite. Nie war es ihr auch nur eingefallen, mit ihm darüber zu diskutieren. Sie hätte ihn vor den Kopf gestoßen, denn er sah es als seine heilige Pflicht an, dem Vaterland zu dienen, war erfüllt vom Glauben an den totalen Sieg.
Ihr Bruder Lutz, gerade eingezogen, war genau vom Gegenteil überzeugt. Sie erinnerte sich an die trotzige Miene des Bruders, seine fahle Blässe, mit der er, bereits in Uniform, von der Familie Abschied genommen hatte. Schon damals war ein Gefühl der Angst, eine intuitive dunkle Ahnung in ihr hochgestiegen, die sie nur mühsam unterdrücken konnte. Sie presste die Hände gegen ihr Herz: Gäbe Gott, dass ihm kein Leid und nichts Böses geschah!
Aber es waren nicht nur die Reden ihres Bruders gewesen, der Hitler für einen Proleten hielt, der die Massen mit leeren Versprechungen verführte, die sie zum Nachdenken gebracht hatten. Schon vor ihrer Bekanntschaft mit Paul hatte sie sich auf der Universität Albertina der Widerstandsgruppe gegen das Nationalsozialistische System angeschlossen, die aus ein paar Kommilitonenbestand. Sie waren alle der Meinung, dass die mahnende Stimme der Opposition gegen den Nationalsozialismus, der immer stärkere Kontrolle über das Volk gewann, nicht ganz verstummen durfte. Vor allem die Hetze gegen alle »Nicht-Arischen«, die viele jüdische Freunde betraf, empörte sie. Die Parolen Hitlers, das deutsche Volk, eine erwählte Rasse, könne die Welt beherrschen, schienen ihr inhaltslose Luftblasen, die eines Tages mit großem Knall zerplatzen würden.
In der Uni waren sie eine verschworene Gruppe der Opposition; sie diskutierten voll Überzeugung bei geheimen Treffen, fertigten Manifeste mit Informationen an und verteilten sie heimlich in der Stadt. Nur manchmal in den Nächten dachte Magdalena daran, dass diese Aufrufe zum Widerstand sie alle in Gefahr bringen konnten – doch der Tag wehte die Gespenster der Angst dann jedes Mal davon.
Energisch schob sie jetzt die Flugblätter zusammen mit den Büchern in ihre Tasche und machte sich daran, das Haus zu verlassen. Im Innern des Doms, mitten in der Altstadt, war der Treffpunkt, und dort sollte jeder der Gleichgesinnten zusätzlich noch einen Stapel zum Verteilen in der gesamten Stadt erhalten. Jeder hatte seine feste Rolle: Frank Schiffner, ein Kommilitone, druckte und vervielfältigte die Schriften heimlich in der Druckerei seines Vaters, Magda suchte aus dem Telefonbuch die Adressen heraus, und Hans und Alfred steckte das Ganze in Briefumschläge. Magdalena brachte diese dann zu verschiedenen Postämtern zum Versenden und bewahrte den Rest der Flugblätter, die nicht verteilt werden konnten, bei sich zu Hause auf. Alles musste ganz im Verborgenen geschehen, denn Frank hatte eine Heidenangst, dass man ihn erwischen könnte. Sein Vater war überzeugter Nazi und mit dem gefürchteten Gauleiter Erich Koch befreundet. Koch war verantwortlich für Fort Quednau, ein provisorisches Gefängnis für Gegner der NSDAP in Königsberg. Es sollte zwar aufgelöst werden, aber immer noch warenGefangene mit anderspolitischen Meinungen darin inhaftiert, für die es bisher keinen anderen Platz gab.
Magdalena nahm Mantel und Hut, verließ leise das Haus und eilte über die Nikolaistraße der Altstadt zu. Es hatte wieder zu schneien begonnen und die Flocken tanzten übermütig durch die Luft.
»Heil Hitler, Magdalena!« Der junge Mann, der ihr forsch in den Weg trat, musterte sie mit einem neugierigen und zugleich bewundernden Blick. »Wohin denn so eilig?«
Das junge Mädchen fuhr zusammen. »Ach du, Anton! Ich habe etwas zu erledigen.«
»Darf ich dich begleiten? Oder dich vielleicht zu einem Kaffee einladen? Es ist ziemlich kalt, und da könnte etwas Warmes nicht schaden.« Er deutete auf das große Kaffeehaus vor ihnen. »Vielleicht hast du ja auch das beste Marzipankonfekt von ganz Königsberg noch nicht probiert!«
Magdalena schüttelte den Kopf. »Danke Anton, ich hab leider keine Zeit!« Bei seinem enttäuschten Blick hinter funkelnden Brillengläsern setzte sie hinzu: »Ein andermal ganz bestimmt.«
Der schlaksige, junge Mann, der in Anzug und Krawatte immer wie aus dem Ei gepellt wirkte, verehrte sie schon seit Langem,
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