Koerper, Seele, Mensch
erwerben; sie sind sozusagen zweigleisig qualifiziert und arbeiten auch zweigleisig, da sie ihren Arbeitstag aufteilen: einige Stunden Medizin für Körper ohne Seelen, einige Stunden Medizin für Seelen ohne Körper.
Bei all diesen Lösungsversuchen bleibt jedoch immer der unbestimmte Eindruck bestehen, daß eine wichtige Verbindung fehlt. Es sind individuelle Versuche, das Dualismus-Problem zu beseitigen, und sie bleiben additiv, ohne irgendeine Form der Integration zu bewirken. Psychosomatik ist nach wie vor die Notlösung der Schulmedizin für all jene Probleme, die sich bei der Ausübung der Heilkunst aus der scharfen Trennung zwischen Körper und Seele ergeben. Dennoch trägt die Psychosomatik gleichzeitig den Keim für die Utopie der Integrierten Medizin in sich. Zwar bleibt sie zutiefst dualistisch, indem sie ein Teil der Schulmedizin ist, sie strebt aber trotzdem auch nach einer Verbindung zwischen Psyche und Soma,selbst wenn sie sie letztlich nicht finden kann.
Die Integrierte Medizin ist der Ausweg aus dem dualistischen Modell der Schulmedizin. Zum Abschluß aller Überlegungen will ich noch einmal zeigen, wie die Utopie einer Integrierten Medizin aussehen könnte, einer Humanmedizin im eigentlichen Sinn; und da ich dafür ein Beispiel aus der Chirurgie heranziehe, geht es im folgenden um eine ›Integrierte Chirurgie‹.
Wäre die Chirurgie lediglich ein Handwerk, dann wäre auch der Patient nur eine triviale Maschine, die auf eine bestimmte Ursache immer gleich reagiert. Mit diesem Modell wird eine objektive, für alle Lebewesen gleiche Realität unterstellt, und die daraus resultierende Medizin verhält sich nicht anders als ein Uhrmacher: Der Deckel wird aufgeklappt, das kaputte Zahnrad gesucht, gefunden und ersetzt, der Deckel wird wieder zugeklappt. Für die Chirurgie ist dieses Modell fundamental und unverzichtbar, es ist Grundlage enormer chirurgischer Behandlungsfortschritte in den letzten 200 Jahren. Ärztliche Interventionen dieser Art sind immer dann notwendig, wenn ein akutes Krankheitsgeschehen unmittelbares Eingreifen erfordert, um die physiologischen, biochemischen und physikalischen Abläufe aufrechtzuerhalten.
Wenn ein Mensch schwerstverletzt wird, bewußtlos ist und im Notarztwagen beatmet wird, dann schwebt er mit seinen ›trivialen‹ physikalischen, biochemischen und physiologischen Funktionen in Lebensgefahr. Die Aufgabe des Chirurgen ist es auf dieser Ebene nun, lebenswichtige Funktionen medikamentös und maschinell zu steuern und möglicherweise operativ und invasiv einzugreifen. Er handelt nach einem konstanten, nicht lernenden Prinzip, und er weiß ›alles‹ über diesen Patienten, derkeinerlei Geheimnisse hat, sondern als offenes System vor ihm liegt – wenn es auch ein hochkompliziertes System voller mechanischer, physikalischer, chemischer und biologischer Kausalitäten ist, die es zu kennen, zu balancieren und zu stabilisieren gilt.
Gegenüber diesem Extremfall auf der einen Seite stelle man sich denselben Patienten vier Wochen später vor. Er ist gerettet worden, aber das ändert nichts an dem gesundheitlichen Zustand, in dem er bereits vor seinem schweren Unfall war: Er ist Diabetiker mit hochgradiger arterieller Verschlußkrankheit eines Beines, offenen Geschwüren, gestörtem Sehvermögen und einer reaktiven Depression. Vom offenen Geschwür geht eine Infektion der Umgebung aus, es droht eine Blutvergiftung. Jetzt ist von seiten des Chirurgen kein entschlossenes, kommunikationsloses Eingreifen gefragt. Jetzt liegt ein Patient im Krankenbett, der eine Vergangenheit und eine Gegenwart sowie viele seine Zukunft betreffende Wünsche und Ängste hat. Der Chirurg weiß zunächst nichts über diesen Menschen, der sich aus seiner Wirklichkeit heraus – als Black Box – mit mehr oder weniger verständlichen Zeichen zu seinen gegenwärtigen existentiellen Problemen äußert, zum Beispiel auch zu der Frage einer bevorstehenden Unterschenkelamputation. Biologie, Chemie und Physik helfen in dieser Situation gar nichts. Nun muß ein ganz anderes Kommunikationskonzept zum Zuge kommen, eines ohne jede objektive Realität, ohne jedes faktische Wissen über das Subjekt Patient. Hier hilft nur eine konstruktivistische Sicht der Dinge: Der Chirurg weiß nichts über diesen Patienten – ganz anders war es noch im Notarztwagen, wo er ›alles‹ wußte –, also muß er auf Zeichen achten, sowohl auf die des Gegenübers als auch auf die eigenen, und ermuß mit dem Patienten eine
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