Kokoschkins Reise
die Sonne.
Später sagte Kokoschkin: «Heute ist Ceauşescu zum Staatsbesuch in Prag. Er will mit der Regierung einen Bündnisvertrag abschließen.»
«Ich habe es gelesen», sagte Hlaváček. «Ich bezweifle, daß er im Ernstfall eine Hilfe für uns wäre. Er redet viel. Alles, was er sagt und tut, dient seiner persönlichen Macht.»
«Sie mögen recht haben.»
Am Abend, beim Essen im Gasthof, schlug Hlaváček vor, am nächsten Vormittag das Stadtschloß in Telč zu besuchen.
Kokoschkin bat Hlaváček, den Gastwirt für den Nachmittag nach Angelzeug zu fragen. Er wolle einen Hecht angeln, und dazu brauche er eine Angelrute zum Spinnfischen, einige Spinner und einen Kescher.
Hlaváček hatte Mühe, den plötzlichen Redeschwall des Gastwirtes zu übersetzen. Immerhin konnte er Kokoschkin sagen, der Gastwirt meine, es sei am besten, dem Štika obecná … äh … Hecht in der Abenddämmerung nachzustellen. Er rate, zu dem großen Teich Richtung Telč zu fahren. Auf einen Bootssteg zu gehen. Einen Klappstuhl gebe er dem Herrn Kokoschkin mit, oder zwei Klappstühle, falls der Herr Hlaváček …? Übrigens, er werde Spinner mit einem zusätzlichen Bleikopf zurechtlegen, damit der Spinner sicher bis auf den Grund sinke. Die Angelrute sei zwei Meter lang; er wisse nicht, wie die ins Auto passe.
«Das Schloß war ursprünglich eine gotische Burg», sagte Hlaváček. «Den teuren Umbau im Stil der Renaissance verdanken wir Zacharias von Neuhaus.»
«Sag auch, woher er das Geld dafür nahm», sagte Branka und lächelte.
«Es war die Mitgift seiner Frau Katharina von Waldstein. Der Umbau dauerte fast fünfzehn Jahre, bis fünfzehnhundertachtundsechzig.»
«Dann existiert es seit vierhundert Jahren», sagte Kokoschkin.
«Nach Neuhaus herrschte der königliche Statthalter Wilhelm Slawata von Chlum über das Schloß. Ein treuer Anhänger Habsburgs. Zusammen mit Graf von Martinitz und dem Schreiber Philip Fabricius wurde er von aufständischen protestantischen Adeligen Sechzehnhundertachtzehn aus einem Fenster des Hradschin geworfen, das fünfzehn Meter hoch lag. Alle drei überlebten den Sturz, weil sie auf einem Misthaufen landeten. Sie flüchteten in das nahegelegene Haus von Polyxena von Lobkovicz. Der Fenstersturz löste den Dreißigjährigen Krieg aus. Der Schreiber Fabricius wurde später geadelt und hieß fortan von Hohenfall. Siebzehnhundertzwölf kamen die Liechtenstein-Kastelkorn, und vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts bis Neunzehnhundertfünfundvierzig die Podstatský-Liechtenstein.»
«Daß du dir das alles merken kannst», sagte Hlaváčeks Frau.
«Du weißt, daß ich mich lange damit beschäftigt habe.»
«Du hast es mir auch schon öfter erzählt, aber ich vergesse es immer wieder. Nur Katharina von Waldstein kann ich mir merken.»
Im Erdgeschoß des Schlosses führte Hlaváček durch den Bankettsaal, die Schatzkammer, die St. Georgskapelle und die Waffenkammer.
In der oberen Etage ging es durch den Theatersaal, den Afrikanischen Saal mit seinen Jagdtrophäen, den Marmorsaal. Sie sahen das Porträt der Perchta von Rožmberk, der unglücklichen Gemahlin des Johannes von Liechtenstein, der sagenumwobenen ‹Weißen Frau›.
«Sie wurde von ihrem Mann unentwegt erniedrigt. Nach seinem Tod war sie die Wohltäterin der Notleidenden», sagte Hlaváček. «Ihre Geschichte regte Franz Grillparzer an.»
Zuletzt der Goldene Saal mit der Kassettendecke, einem Wunderwerk von Renaissance-Schnitzarbeit, und die Allerheiligen-Kapelle.
«Renaissance in Mähren», sagte Kokoschkin. «Wer brachte sie hierher?»
«Baldassare Maggi d’Arogno, der italienische Architekt und Baumeister. In Mähren und in Böhmen hat er viel gebaut. Zum Beispiel in Český Krumlov das Jesuitenkolleg. Ein wahres Monument.»
Nach dem Rundgang saßen Kokoschkin und die Hlaváčeks im Restaurant neben dem Schloß. «Böhmische Küche!» schwärmte Kokoschkin.
Der Gastwirt in Studená hatte das Angelzeug zurechtgelegt: Rute, Spinner, einen Kescher, einen Schlegel und zwei Klappstühle. Aber Kokoschkin wollte sich nur ausruhen. «Den Hecht holen wir morgen.»
Hlaváček und seine Frau gingen zum Badeteich.
Am nächsten Morgen, beim Frühstück, sagte Kokoschkin: «Ich habe noch einmal das Manifest der zweitausend Worte von Ludvík Vaculík gelesen.»
Er zog die Blätter aus der Tasche. «Ich muß Sie etwas fragen. Fast am Ende steht: ‹Außerordentliche Beunruhigung geht in der letzten Zeit von der
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