Kokoschkins Reise
und hatte sich in Paris eingerichtet. Sie sprach Französisch, aber nicht Englisch. Ihr Hutsalon ernährte sie. Sie hielt noch immer Kontakt zu Bunin und dessen Frau Vera. Neunzehnhundertsiebzig ist Mama in Paris gestorben. Sie wurde fünfundachtzig Jahre alt. Ich flog nach Paris und habe sie beerdigt.»
«Kerenski, der Ihnen, zusammen mit Chodassewitsch, zu dem US A-Stipendium verholfen hat, ist Neunzehnhundertvierzig, nach dem deutschen Einmarsch in Paris,in die Vereinigten Staaten geflohen. Haben Sie ihn jemals getroffen?»
«Nein. Zu ihm hatte ich keinen Zugang. Natürlich hätte er den Namen Kokoschkin gekannt. Aber es wäre doch eitel gewesen, ihn zu erinnern.»
«Entschuldigen Sie. Immerhin hätten Sie sich bei ihm bedanken können.»
«Das habe ich in einem Brief getan, den ich ihm durch die Vermittlung der amerikanischen Botschaft in Prag Neunzehnhundertvierunddreißig nach Paris geschrieben habe.»
«Haben Sie nach dem Krieg Bunin getroffen?»
«Nein. Als Kind war ich ihm in Odessa begegnet. In Paris habe ich ihn nicht gesehen. Er war entweder in Grasse oder er war krank in seiner Pariser Wohnung in der Rue Jacques Offenbach und wollte niemanden sehen. Seine Frau, Vera Muromzewa, wachte über ihn. Im November Dreiundfünfzig ist er in Paris gestorben. Später bin ich einmal zu seinem Grab auf dem Friedhof von Sainte-Geneviève-des-Bois gegangen und habe Blumen auf sein Grab gelegt.»
ANKUNFT IN NEW YORK
14. September 2005
Schon kurz vor 5 : 00 Uhr stand Kokoschkin an der Reling auf Deck 7. Den Anblick der Statue wollte er nicht verpassen. Noch war es stockdunkel. Die Verrazzano Narrows Bridge lag bereits hinter dem Schiff, ihre Lichter waren noch zu sehen. Das Schiff bewegte sich in der Upper Bay langsam den Hudson aufwärts. Motorendonner eines Hubschraubers, der das Schiff umkreiste und mit starkem Scheinwerfer das Wasser absuchte. Boote der Küstenwache rund um das Schiff. Vorkehrungen gegen Angreifer.
Hunderte von Passagieren an der Reling und auf dem Vorderdeck. Stimmengewirr. Lachen.
Unvermittelt ein goldenes Licht – die Fackel. Ein zweites – der Haarkranz.
Vom samtenen Schwarz der frühen Stunde gerahmt – der kupfergrüne Körper.
Die Stimmen, das Lachen verstummten. Stille.
Die Blitzlichter Hunderter Fotoapparate.
Steuerbords die Lichter von Governors Island, backbords von Ellis Island. 5 : 30 Uhr.
Sogleich die früh erhellten Fenster der Hochhäuser an der Südspitze von Manhattan steuerbords.
Mit dem aufkommenden Tageslicht Verwandlung derSilhouette von Manhattan zum Manhattan-Panorama. Backbords das Ufer von New Jersey.
Das Anlege-Manöver des Schiffes am Pier 92, 12. Avenue, auf Höhe der 52. Straße. 6 : 30 Uhr.
Kokoschkin verließ das Deck und ging zum Frühstück ins Kings Court.
Er holte sein Handgepäck aus der Kabine und setzte sich in einen Liegestuhl auf Deck 7. Die Ruhe.
Kokoschkin wartete auf die Durchsage, daß die Passagiere mit silbernen Kofferanhängern das Schiff verlassen könnten.
Die Durchsage. Kokoschkin ging durch Samuels Wine Bar zur Gangway. Er zeigte seine ID Karte und den Coupon vom Kofferanhänger und verließ das Schiff.
In der riesigen Abfertigungshalle die Paßkontrolle, der Empfang des Koffers, den ein Gepäckträger auf seinen Wagen hob, und die Zollkontrolle forderten Kokoschkins Geduld.
Am Ausgang der Halle rief der Gepäckträger ein Taxi.
Kokoschkin zum Flughafen.
Nach Boston.
Nach Hause.
Seite 125: Iwan Bunin, «Erste Liebe», deutsch von Ilona König, aus «Dunkle Alleen», ausgewählte Meistererzählungen, F. J. Steinkopf Verlag, Stuttgart 1959. Mit freundlicher Genehmigung des Dörlemann Verlags, Zürich
Seite 130: «Bei mir bist du scheen». Mit freundlicher Genehmigung der Warner Chappell Music GmbH & Co. KG Germany
Seite 176: Iwan Bunin, «Der Sonnenstich», deutsch von Kay Borowsky, Reclams Universalbibliothek 9343, Stuttgart 1995. Mit freundlicher Genehmigung des Dörlemann Verlags, Zürich
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Informationen zum Buch
Kreuzfahrt durch ein schicksalhaftes Jahrhundert
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