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Kokoschkins Reise

Kokoschkins Reise

Titel: Kokoschkins Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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Frauen mit ihren Hüten die Sicht. Kokoschkin und Olga Noborra konnten aber noch alles sehen. Drei der acht Frauen trugen vorschriftsmäßig lange Kleider, zwei ein schwarzes, eine ein blaßblaues. Drei hatten knielange Kleider an, zwei ein schwarzes, eine ein weißes geblümtes. Eine Frau trug einen schwarzen Hosenanzug. Die achte Frau, die dickste, trug ein weißes T-Shirt zu einer langen braunen Hose, und über das T-Shirt , das sich über ihrem Bauch wölbte, hatte sie ein durchsichtiges Jäckchen mit langen Ärmelnangezogen. Das, obwohl für die Damen festliche Abendgarderobe verordnet war.
    Sechs Hüte waren mit Blumen beladen, ein Hut war unbeschwert. Der Hut der Dicken hatte die Farbe weiß. Die Dicke hatte hinter das Hutband zwei Fähnchen geklemmt, das eine links, das andere rechts: die Flaggen von Großbritannien. Diese Frau wurde von der Conférencieuse zur Siegerin der Hutparade erklärt. Ohne Begründung. Viele Zuschauer schüttelten den Kopf. Wurde die Liebhaberin der britischen Flagge gekürt, weil das Schiff unter britischer Flagge fuhr?
    Olga Noborra sagte zu Kokoschkin: «Nur lächerlich», und verabschiedete sich.
    Kokoschkin ging in den Chart Room, hörte einem Jazz-Trio zu und trank ein Bier.

 
    Prag, 8.   August 1968.   Kokoschkin landete auf dem Flughafen Ruzyně und fuhr mit dem Taxi zum Wenzelsplatz, Hotel Evropa, in dem er von Boston aus ein Zimmer gebucht hatte, ein Zimmer mit Blick auf den Platz.
    Er machte sich sogleich zu einem Spaziergang auf. Wenzelsplatz. Das vielbeschriebene Grau war helleren Farben gewichen. Die Auslagen der Geschäfte vielfältiger. Die Zeitungskioske bestückt mit Blättern aus aller Welt.
     
    Am nächsten Vormittag wollte Kokoschkin in der Hybernská das Restaurant sehen, in dem er Dreiunddreißig als Küchenjunge gearbeitet hatte. Das Restaurant gab es nicht mehr. Statt dessen ein Schuhgeschäft. Was mochte aus Franz, dem zweiten Küchenjungen, geworden sein? Auch die Pension, in der er Dreiunddreißig eine Woche lang mit Aline gewohnt hatte, war verschwunden. In dem Haus nur Wohnungen.
    Kokoschkin fuhr mit einem Taxi zu einem Antiquariat in der Valentinská, das ihm ein alter Kollege in Boston empfohlen hatte.
    Er fragte einen Mitarbeiter des Antiquariats, ob einzelneExemplare des Prager Tagblatts der Jahrgänge Dreiunddreißig und Vierunddreißig zu kaufen wären, besonders von Sonntagsausgaben.
    In der Nähe stand ein junger Mann vor einem Regal und blätterte in einem Buch.
    Der Antiquar sagte zu Kokoschkin: «Wo denken Sie hin!»
    «Aber Bücher von Autoren, die im Tagblatt geschrieben haben?»
    «Zum Beispiel?»
    «Max Brod, Rebellische Herzen, von Siebenundfünfzig, über das Prager Tagblatt.»
    «Nein. Aber die Taschenbuchausgabe von Januar dieses Jahres, die können Sie haben.»
    «Oh! Die nehme ich. Und Hans Natonek, Kinder einer Stadt, von Zweiunddreißig?»
    «Nein.»
    «Schade. Ich hätte die alten Ausgaben gerne wenigstens einmal gesehen.»
    «Ja, schade. Kann ich Ihnen sonst helfen?»
    «Botanik.»
    «Da haben wir einiges.»
    «Mich interessieren Bücher über Gräser. Gräser als Kulturpflanzen und Unkräuter. Vor allem deutsche Titel aus den dreißiger und vierziger Jahren.»
    «Sagen Sie mir die Verfasser. Ich sehe nach.»
    «Otto Wehsarg.»
    «Nichts.»
    «Reinhold Tüxen.»
    «Nichts.»
    «Ernst Klapp.»
    «Ja! Das Dauergrünland, von Fünfunddreißig. Taschenbuch der Gräser, von Siebenunddreißig. Übrigens auch die dritte und vierte Auflage von Einundvierzig. Wiesen und Weiden, Achtunddreißig.»
    «Ich nehme alle vier!»
    «Noch etwas?»
    «Ja. Fjodor Kokoschkin, The Grasses of Nebraska, Neunzehnhundertzweiundvierzig erschienen.»
    «Nein.»
    Der junge Mann, der nicht weit von Kokoschkin und dem Antiquar gestanden hatte, wandte sich an Kokoschkin. «Entschuldigen Sie, daß ich mich einmische. Hlaváček ist mein Name.
    Wenn Sie die Bücher wenigstens einmal sehen wollen, dann kommen Sie doch in die Universitätsbibliothek. Ich kann sie Ihnen zeigen.»
    «Das ist sehr freundlich. Ich komme gerne. Mein Name ist Kokoschkin.»
    «Sind Sie verwandt mit dem Autor des Buches über die Gräser von Nebraska?»
    «Ich bin der Autor.»
    «Das wirft mich um.»
    «Stehen Sie ruhig wieder auf. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Morgen in der Bibliothek.»
    «Ja. Zehn Uhr, bitte.»
    «In Ordnung.»
     
    Hlaváček legte Kokoschkin in der Bibliothek alle Bücher vor, nach denen er im Antiquariat vergeblich gefragt hatte, dazu den Jahrgang

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