Kokoschkins Reise
Möglichkeit aus, daß sich ausländische Mächte in unsere Entwicklung einmischen könnten.› Das hat Vaculík im Juni geschrieben. Wir haben jetzt Mitte August, und die ‹Möglichkeit› ist wahrscheinlicher geworden. Was können die Tschechen und Slowaken tun.»
«Lesen Sie weiter», sagte Hlaváček.
«‹Angesichts aller Übermächte bleibt uns lediglich übrig, ruhig auf unserem Standpunkt zu beharren und niemanden herauszufordern.›»
«Wir haben auf unserem Standpunkt beharrt. Aber die ‹Übermächte› fühlen sich längst herausgefordert, ideologisch und militärisch.»
«Militärisch?»
«Vaculík hat im nächsten Satz gesagt, daß wir hinter unserer Regierung stehen, ‹wenn nötig, in Waffen›. Diese Wendung habe ich mir gemerkt.»
«Das wäre aussichtslos.»
«Und es würde viele Menschenleben kosten.»
«Militärischen Widerstand gegen die ‹Übermächte› wird es nicht geben.»
«Es bliebe nur zähneknirschende Ergebung.»
«Also Demütigung eines ganzen Volkes.»
«Zweier Völker: der Tschechen und der Slowaken.»
Kokoschkin sagte: «Lassen Sie uns den schönen Sommertag genießen.»
«Ja!» sagte Branka Hlaváčková. «Wer weiß, wann wir wieder Ferien machen können.»
«Und heute nachmittag fahren wir zum Angeln?» sagte Kokoschkin.
«Ich bleibe hier», sagte Branka. «Ich will nicht zusehen, wie ein so schöner Fisch gefangen und getötet wird.»
«Ich verstehe Sie», sagte Kokoschkin. «Den Hecht zu fangen, das macht mir noch Spaß. Aber ihn töten – das mag ich auch nicht.»
«Aber Sie tun es!»
«Mich verleitet sein guter Geschmack. Essen Sie nicht auch gerne Hecht?»
«Schon.»
«Bitte, Herr Hlaváček, fragen Sie doch, ob die Wirtin den Hecht heute abend für uns zubereitet.»
«Man soll das Fell des Bären nicht verteilen, bevor man ihn erlegt hat.»
«Wir werden ihn erlegen!»
Der Hecht, den Kokoschkin fing und den Hlaváček mit dem Kescher aus dem Wasser hob, wehrte sich so heftig, daß Hlaváček ihn vom Bootssteg an Land tragen mußte, damit er nicht womöglich zurück ins Wasser fiel. Kokoschkin packte den Fisch und schlug ihm mit dem Schlegel mehrmals auf den Kopf.
Der Hecht wog ungefähr zwei Kilo. Die Wirtin briet ihn auf böhmische Art: gespickt. Sie bereitete Soße aus saurer Sahne und Schlagsahne. Kurz bevor er gar war, bestreute sie ihn mit geraspeltem Käse. Zu dem Hecht gab es Petersilienkartoffeln.
Branka ließ es sich auch schmecken. «Ich darf aber nicht daran denken, daß Sie den armen Kerl totgeschlagen haben», sagte sie zu Kokoschkin.
«Das war wirklich unangenehm.»
Das Frühstück am nächsten Morgen rührte Kokoschkin nicht an. Irritiert sah Branka Hlaváčková zu, wie Kokoschkin zwei, drei, vier Löffel Zucker in seinen Kaffee gab und nicht davon trank.
Er nahm eine Scheibe Brot, brach ein Stück ab und ließ es auf den Teller fallen. Als er Hlaváčeks fragenden Blick und die Irritation seiner Frau bemerkte, sagte er: «Es tut mir leid. Wissen Sie, ich bin gelernter Emigrant. Ich habe es im Urin: Die Russen überfallen die Tschechoslowakei.»
«Das ist furchtbar», sagte Branka. «Was sollen wir dann tun.»
«Nichts», sagte Hlaváček.
«Liebe Hlaváčeks», sagte Kokoschkin, «ich muß hier weg. Bitte, fahren Sie mich zu einem Grenzübergang nach Österreich. Ich habe meinen Paß bei mir, meinen Koffer …»
Hlaváček holte aus dem Auto seinen Straßenatlas. «Der nächste Übergang nach Österreich liegt einige Kilometer südlich von Znojmo, in Hatě, früher Haid. Auf österreichischer Seite heißt der nächste Ort Kleinhaugsdorf. An der Straße nach Wien.»
«Wie weit ist es von Kleinhaugsdorf bis Wien?»
«Ungefähr sechzig Kilometer.»
«Und von hier bis Znojmo?»
«Auch ungefähr sechzig.»
«Wollen Sie mich bis Znojmo bringen?»
«Natürlich.»
«Sie setzen mich einfach vor dem Grenzübergang ab. Ich komme dann schon weiter.»
Kokoschkin verabschiedete sich von den Wirtsleuten, denen er die Zimmer im Voraus bezahlt hatte.
Hlaváček legte Kokoschkins Koffer in den Kofferraum.
Unterwegs fragte Kokoschkin: «Was werden Sie tun?»
«Wir fahren am späten Nachmittag zurück nach Prag.»
«Ohne Sie wollen wir jetzt nicht in Studená bleiben.»
«Hören Sie, meine Freunde», sagte Kokoschkin. «Ich weiß nicht, was in Prag geschehen wird. Aber ich werdeauf alle Fälle über die amerikanische Botschaft an Sie schreiben. Ich bitte den Kulturattaché, meine Briefe in neutralen Briefumschlägen
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