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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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schenkten, und kaufte sich wer weiß wo Dinge, die sonst in unserm Haus nicht getragen wurden - Seidenblusen, Lackschuhe oder eben diesen geblümten Morgenmantel. Traudel und ich schmissen unser Geld so raus, wie es reinkam - für Puddingteilchen und Malzbonbons, Fix-und-Foxi -Hefte, Kino, Zigaretten. Bella stand in der offenen Tür und sagte: «Was ist denn da los?»
    Von unten hörten wir unsere Eltern streiten «Ich bin es leid», schrie Mutter, «ich kann machen, was ich will, wir kommen auf keinen grünen Zweig, und nun muß ich mir auch noch vorwerfen lassen, ich wäre schuld daran.» Dann sagte mein Vater irgend etwas, das ich nicht verstand, und dann schrie sie wieder, und natürlich fiel sehr häufig mein Name. Traudel saß mit schreckgeweiteten Augen da, die Tranen tropften ihr auf die nackten Fuße. Bella lehnte unbeweglich an der Wand, mit verschränkten Armen, und ich sah, daß sie sich irgendeine fette Creme ins Gesicht geschmiert hatte. Wir nahmen alle immer nur Nivea, aber Bella hatte ein - natürlich abschließbares - Kastchen mit Tuben und Doschen für die Schönheit, sie war sehr eitel.
    Vielleicht wäre ich auch eitel gewesen, wenn ich so schon gewesen wäre wie sie, aber vielleicht hatte ich dann auch soviel Pech mit den immer falschen Männern gehabt. Bella wird gerade zum viertenmal geschieden, dabei ist dieser Mann der geduldigste, den sie je hatte, aber er kann sie wohl auch nicht mehr ertragen.
    Ich frage mich nur, warum sie immer wieder jemanden findet, der sie heiratet? Mit ihrem dritten Mann, Kurt, hatte sie sich eine große Eigentumswohnung im schönsten Teil der Stadt gekauft, und als sie merkten, daß sie nicht mehr miteinander leben wollten und konnten, sich aber der teuren Wohnung und der ganzen Abzahlungen wegen auch nicht trennen konnten und die Wohnung nicht aufgeben wollten, haben sie sich einen Maurer geholt und quer durch die Wohnung eine Mauer ziehen lassen. Die Küche wurde glatt halbiert, die Mauer ging durch den Flur, Kurt bekam das Wohnzimmer, Bella das Schlafzimmer, aus dem dritten Zimmer machte sich Kurt ein Bad, denn das alte Bad war auf Bellas Seite, und im Treppenhaus wurde eine zweite Eingangstür durchgebrochen. Unten in der Küchenmauer war ein kleines viereckiges Loch für die gemeinsame Katze gelassen worden, die durch die geteilte Wohnung hin- und herging, und durch dieses Loch schoben sich Kurt und Bella auch gegenseitig verirrte Post, kleine Mitteilungen oder die Autoschlüssel zu, und manchmal lagen sie, jeder auf seiner Seite, vor dem Loch und brüllten sich an Ich hatte damals gerade einen amerikanischen Freund, der für die New York Times über den Fall der Mauer in Deutschland schreiben sollte, und ich sagte zu ihm: «Jack, ich zeige dir was, so was hast du noch nie gesehen, darüber kannst du schreiben», und ich überwand meine Abneigung und besuchte Bella, zusammen mit Jack, und er konnte nicht genug staunen. «The Germans need their wall», schrieb er später in seiner Zeitung, und wenn sie sie im Land schon nicht mehr haben durften, dann wenigstens in ihren Herzen und in ihren Wohnungen.
    Unten flog inzwischen Geschirr, es klirrte, und dann sagte meine Mutter plötzlich ganz ruhig: «So. Nun ist es genug, Paul. Das muß ich nicht mehr mitmachen. Ich gehe, und dann kannst du ja zusehen, wie du mit diesem ganzen Schlamassel fertig wirst.» Und mein Vater antwortete: «Gut, wenn es das ist, was du willst, dann lassen wir uns eben scheiden. Bitte sehr, fertig, aus.»
    Dann knallte die Haustür, und kurz darauf kam meine Mutter laut heulend aus dem Wohnzimmer. Wir zogen uns schnell in unsere Zimmer zurück und hörten, wie im Schlafzimmer Schränke aufgerissen und wieder zugeschlagen wurden. Eine halbe Stunde später verließ unsere Mutter mit einem Koffer in der Hand und unter dem infernalischen Gebell von Molli das Haus und ging zur Bushaltestelle, obwohl doch in der Nacht dort gar kein Bus mehr abfuhr. Vater kam zurück nach Hause, polterte durch den Flur, schrie den Hund an, schloß das Haus ab, löschte die Lichter und ging ins Bett. Draußen fuhren ab und zu Autos, und ich dachte, daß unsere Mutter wohl per Anhalter wegfahren würde.
    Donnerwetter, soviel Courage hätte ich ihr niemals zugetraut. Am nächsten Morgen machte uns Vater das Frühstück und pfiff dabei grimmig vor sich hin. «Eure Mutter hat es vorgezogen, uns zu verlassen», sagte er. «Wir lassen uns scheiden, aber ihr müßt euch darüber nicht aufregen.»
    «Was wird aus uns?»

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