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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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rennen, wahrscheinlich, um Mutter am Telefon irgendwelche Freudenschreie ins Ohr zu träten, aber ich hielt sie zurück. Bella sagte: «Wird auch Zeit. Wie das hier aussieht.» Vater telefonierte lange, dann machte er die Terrassentür auf, lüftete, rauchte im Stehen noch eine Zigarette und seufzte tief.
    Ich war wieder zu ihm gegangen, und er hatte mir den Arm um die Schultern gelegt. «Kommt sie?» fragte ich, und er nickte:
    «Morgen abend.» - «Wo ist sie eigentlich?» wollte ich wissen, obwohl ich es mir schon denken konnte: bei Tante Hedwig, die ihr wieder einreden würde, sie solle unsern Vater, der es zu nichts brächte, endlich verlassen. Und dann würde Tante Hedwig, die Kriegerwitwe war, seufzen und sagen: «Die besseren Männer sind im Krieg geblieben!» Im Grunde wunderte ich mich, daß Mutter zurückkam, ich an ihrer Stelle wäre weggeblieben, aber ich glaube, dazu war sie einfach zu unselbständig, es lief halt doch immer alles seinen gewohnten Gang, und zu schmerzhaften Veränderungen hatte in dieser Generation nach durchgestan-denem Krieg und Heimkehr aus der Gefangenschaft niemand mehr den Mut oder auch einfach nur die Phantasie.
    Am folgenden Nachmittag räumten wir das Haus auf. Die alten Zeitungen kamen in den Müll, die Küche wurde geputzt, Traudel pflückte einen klumpigen Strauß Feldblumen, und Bella bezog die Betten frisch. Ich bürstete den Hund und schrubbte mit einem Schwamm die Dreckflecken, die er gemacht hatte, vom Teppich, und unser Vater heizte den Boiler ein, nahm ein langes Bad, rasierte und parfümierte sich und ging gegen sechs Uhr abends zur Bushaltestelle.
    «Ohren steif», sagte ich und hielt Traudel fest, die unbedingt mitgehen wollte. Bella war mit ihrem Freund ausgegangen, weil sie, wie sie sagte, «diese rührende Szene nicht miterleben» wollte.
    Ich setzte mich mit Traudel oben auf die Fensterbank, von da aus konnte man die Straße überblicken, und unser Vater ging los.
    Nach einer halben Stunde kamen sie. Er trug ihren Koffer, zwischen ihnen waren etwa zwei Meter Platz, und sie schienen zu schweigen. «Mama!» sagte Traudel ergriffen und fing an zu heulen, und ich dachte: «Jetzt müssen wir wieder Pampe essen.»
    Sie kamen ins Haus, stellten den Koffer in die Diele und gingen sofort wieder weg.
    Traudel war fassungslos. «Warum gehen sie denn wieder?» rief sie und schluchzte, und ich sagte: «Wahrscheinlich wollen sie allein sein und reden», und so war es auch, denn kaum waren sie wieder auf der Straße, fingen sie beide gleichzeitig an, heftig aufeinander einzureden und mit den Armen zu fuchteln. Sie bogen in den Feldweg zum Wäldchen ein, und nun konnte man sie für zehn Minuten nicht sehen. Ich blieb aber sitzen, weil ich wußte, daß sie dann am Waldrand wieder auftauchen mußten. Traudel ging runter, um Mutters Koffer zu beschnüffeln und den kläffenden Hund von der Leine loszumachen. Nach etwas mehr als zehn Minuten sah ich meinen Vater und meine Mutter oben am Waldrand, sie hatten sich eingehakt und gingen langsam, und fast schien es, als legte meine Mutter ihren Kopf an seine Schulter, aber vielleicht hielt sie ihn auch nur schief.
    Ich hatte das Gefühl, als wären wir jetzt zwar gerettet, aber wenn es anders gekommen wäre, wäre es auch kein Untergang gewesen. Es war kein Glücksgefühl, keine Erleichterung, eher so eine Art Einmünden in einen vertrauten Hafen. Später am Abend saßen wir alle zusammen im Wohnzimmer, sogar Bella kam heim und setzte sich zu uns. Mutter war blaß und sanft wie jemand, der nach einer Krankheit zum erstenmal wieder aufsteht. Sie sah uns prüfend an, als müsse sie sich vergewissern, daß wir noch lebten und in Ordnung wären, und Vater öffnete eine Flasche Wein, goß die Gläser voll und sagte: «So, da wären wir nun wieder alle.»
    Molli lag zu Mutters Füßen, und Traudel saß daneben und streichelte abwechselnd Mutter und den Hund.
    «Gut, daß du wieder da bist, Mama», sagte sie, «denn stell dir vor, er hätte sonst den Hund erschossen.»

Das Dööfchen
    Jeden Abend um dieselbe Zeit kommt das Dööfchen die Straße herunter, die wir von unserm Balkon aus sehen. Es ist eine stille Wohnstraße mit alten Häusern, die noch nie oder nur sehr sparsam renoviert wurden. An der Ecke, uns gegenüber, verfällt das Altersheim. Es hält sich zwischen den hohen, morschen Bäumen nur so gerade noch aufrecht, und die meisten der kleinen Balkone dürfen nicht mehr betreten werden - mit rotweißen Plastikbändern hat das

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