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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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ihn, und einmal legte unser Vater ihr den Arm um die Taille und sah dabei etwas furchtsam zu uns herüber.
    Traudel bemerkte das gar nicht, weil sie nur aufs Büfett schielte, aber ich zwinkerte ihm aufmunternd zu. Er lächelte schüchtern, prostete mir zu, und ich liebte ihn so sehr in diesem Augenblick, daß das Herz mir weh tat und ich am liebsten zu ihm gelaufen wäre und ihn geküßt hätte. Die Reden dauerten und dauerten, dann spielte noch ein Streichquartett, und die Lehrlinge der Firma, die mein Vater zum Teil ausgebildet hatte, lasen mit verteilten Rollen eine komische Szene vor, die auf den Büroalltag anspielte und von der ich kein Wort verstand. Mir wurde bewußt, wie wenig unser Vater zu Hause von seiner Arbeit erzählt hatte, wir wußten im Grunde nicht einmal genau, was er tat, außer daß er das Geld zum Leben heimbrachte, und das war ja, wie wir von Mutter hörten, immer zuwenig, weil er nicht ehrgeizig war und sich nicht anstrengte. Traudel flüsterte mir zu: «Was sind das für komische freie Stellen da im Büfett, glaubst du, da kommt noch was?» In der Tat waren mitten im schön dekorierten Büfett drei große, kreisrunde Löcher, schwarz und aus der Papiertischdecke ausgeschnitten. «Vielleicht sollen wir da die dreckigen Teller und das Besteck reinschmeißen», flüsterte ich zurück, und neben mir zischte eine ältere Dame: «Psst, so seien Sie doch still!», denn die Lehrlinge reimten gerade:
    «Wehe, wenn wer mal nicht spurt,
    dann kommt Kurt, dann kommt Kurt»
    und meinten wohl den Abteilungsleiter. Ich habe diesen Spruch später zu Bellas Mann gesagt, «wenn unsre Bella mal nicht spurt, dann kommt Kurt, dann kommt Kurt», und er hatte gelacht und gesagt: «Ich werd nicht schlau aus deiner Schwester, da soll sich jemand anders die Zähne ausbeißen.» Ich hätte Kurt gern gehabt, ehrlich gesagt, er war von allen Freunden und Ehemännern, die Bella hatte, der netteste, aber mich bemerkten die Männer immer erst, wenn sie an meiner Schwester verzweifelt waren, und zweimal wollten sie mit derselben Familie nichts zu tun haben.
    Als die Reden endlich beendet waren, gab es viel Applaus, mein Vater und der Buchhalter bekamen je einen großen Schaukelstuhl geschenkt für den Ruhestand, der jetzt anbrechen würde, und ich dachte: Du liebe Güte, wo will er in unserm Haus dieses Monstrum aufstellen? Seltsamerweise tauchte der Stuhl nie bei uns auf.
    Mutter stichelte noch ewig herum: «Sie hätten dir zum Abschied ruhig etwas schenken können, was für eine knauserige Firma!»
    Traudel und ich schwiegen dazu, und ich dachte mir, daß der Schaukelstuhl vielleicht in der Wohnung der Kollegin stand und daß unser Vater da manchmal in aller Ruhe ein bißchen schaukeln ging, wer weiß.
    Nun wurde aber endlich das Büfett eröffnet, und zwar mit einem lauten Gong und dem Ruf der älteren Dame neben mir: «Warten Sie noch EINEN AUGENBLICK, es gibt noch eine Überraschung!»
    Alles blieb stehen, und Traudel sagte: «Das gibt's doch nicht!», denn in den drei kreisrunden Löchern erschienen jetzt auf einmal die Köpfe von drei Menschen - der eine war als Karotte, der andere als Salat, der dritte als Tomate geschminkt und verziert -, ein orangefarbenes, ein rotes, ein grünes Gesicht mit allerlei Blattzeug auf dem Kopf. Sie mußten während der ganzen Zeit unter dem Tisch gelegen oder gesessen haben, und nun schoben sie ihre Köpfe zwischen die Fisch-, Fleisch- und Salatplatten und riefen: «Das Büfett ist eröffnet!»
    Es gab Riesenapplaus, und nur langsam trauten wir uns an den Tisch, wo jetzt mitten zwischen Tellern mit Essen lebende Gesichter schwebten und lächelten und sagten «Guten Appetit!»
    oder «Nehmen Sie doch noch ein Häppchen Lachs!» oder «Auch der Nudelsalat ist es wert, probiert zu werden, greifen Sie nur zu.»
    Witzbolde bekleckerten den, der wie eine Tomate aussah, mit Mayonnaise, er ertrug es lächelnd und sagte: «Sie sollten auch den Parmaschinken probieren», und ich dachte: Mein Gott, in dieser Firma war unser Vater dreißig Jahre lang, was weiß man schon von seinen Eltern.
    Als unsere Mutter eine Woche weg war, klingelte plötzlich beim Abendbrot das Telefon. Bella und Traudel waren in der Küche, und Vater schickte mich mit einer Handbewegung aus dem Zimmer, er wollte ungestört sein. «Mama?» flüsterte ich, und er nickte. Ich ging in die Küche zu den ändern und sagte düster: «Ich fürchte, unsere Mutter kommt zurück.» Traudel juchzte laut auf und wollte ins Wohnzimmer

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