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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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ich bin tot», sagte ich. «Kneif mich mal.» «Dazu müßtest du etwas näher kommen», sagte Franz, «und das ist es, weshalb ich anrufe.»
    Ich machte die Augen zu und dachte an die komische Dachwohnung, in der wir zusammen gewohnt hatten. Franz hatte Bühnenbilder in verkleinertem Maßstab gebaut, und im Szenenbild von «Don Giovanni» hatten unsere beiden Hamster Kain und Abel gewohnt. Sie waren auf den kleinen Balkönchen erschienen und hatten sich geputzt, und vom Tonband spielten wir dazu Donna Annas Arie aus dem Ende des zweiten Aktes, «or sai chi l'onore rapire a me volse», und zu der Zeit haben wir furchtbar viel getrunken. Wir arbeiteten auch - er an seinen Bühnenbildern, ich für meine Zeitung, aber wir tranken Gin und Weißwein und Tequila in solchen Mengen, daß ich heute nicht mehr weiß, wie wir überhaupt morgens aus dem Bett kamen, wer all die leeren Flaschen wegbrachte und wann wir eigentlich die Katze versorgten. Einer der beiden Hamster wurde später in dem dicken Lesesessel totgedrückt - er war zwischen Sitzpolster und Lehne gekrochen -, und wir fanden ihn erst, als er zu riechen begann und brauchten - es war bei einem Frühstück - an dem Tag den ersten Gin schon morgens, obwohl im Grunde so eine letzte Regel galt: Wein ab i6Uhr, Gin ab 20 Uhr und Tequila erst nach zehn. Was soll's, lange her.
    «Warum kommst du nicht über Weihnachten zu mir nach Lugano?» fragte Franz.
    «Warum sollte ich», sagte ich und freute mich irrsinnig, aber ich ließ meine Stimme ganz unten. «Kannst du ohne mich auf einmal nicht mehr leben?»
    «Ich kann wunderbar leben ohne dich», sagte Franz, «und was glaubst du, wie ich das genießen werde, wenn du nach Neujahr wieder abfährst.»
    Ich war noch nie in Lugano gewesen. «Wie ist Lugano», fragte ich, «gräßlich?»
    «Grauenhaft», sagte Franz. «Alte Häuser mit Palmen davor und mit Glyzinien bewachsen, die so ekelhaft lila blühen, überall Oleander mit diesem scheußlichen Duft und ein gräßlicher See inmitten scheußlicher Berge. Und sie trinken hier diesen widerwärtigen Pendant, bei dem man schon nach vier Flaschen betrunken ist. Überleg's dir.» - «Versprichst du mir, daß wir uns die ganze Zeit streiten?» fragte ich, und Franz sagte: «Ehrenwort. Und du darfst auch keinem Menschen erzählen, daß du zu mir fährst, ich könnte dich dann unauffällig erwürgen und in den See schmeißen, gut, was?»
    «Fabelhaft», sagte ich, «aber du vergißt, daß ich schon tot bin.
    Ich glaube nicht, daß ich es noch bis Lugano schaffe, ich schaff s ja nicht mal mehr bis in die Küche, Franz.»
    «Du fliegst», sagte Franz, «bis Mailand, und dann fährst du eine Stunde mit dem Zug nach Lugano, und ich hol dich ab.»
    «Hol mich nicht ab», sagte ich, «vielleicht hab ich ja Glück und das Flugzeug fällt runter, und dann wartest du umsonst. »
    «Gute Idee», sagte Franz, «ich könnte auch bei Chiasso einen Baumstamm quer über die Schienen legen, dann würde dein Zug entgleisen, was hältst du davon?»
    «Großartig», sagte ich und fing plötzlich an zu weinen, und Franz fragte trocken: «Freitod als willkommene Unterbrechung der Langeweile?» - «Nein», sagte ich, «der Erschöpfung, ich möchte vor Erschöpfung aus dem Fenster fallen.»
    Ich dachte an unsere Katze, die eines Tages vom Dach gefallen war, einfach so, und wir hatten gedacht, das würde nie passieren.
    Sie war gewöhnt daran, über die Dächer zu gehen, und von unserm kleinen Balkon aus sah ich sie oft in der Sonne sitzen und sich putzen, hoch neben dem Schornstein, vor der Fernsehantenne, auf der die dicken Tauben gurrten. Eines Tages war sie gerutscht, ins Strudeln gekommen, hatte sich vor Verwirrung nicht mehr halten können und an allen Vorsprüngen und Balkons vorbei einen geraden Sturz in die Tiefe gemacht, fünf Stockwerke, und ich sah sie bewegungslos unten liegen und war unfähig, ihr nachzulaufen.
    Schließlich war Franz die Treppen runtergerannt und lange nicht wiedergekommen. Wir haben nie mehr über die Katze gesprochen, und in dem Jahr lebten wir uns auseinander, wie man wohl so sagt. Wir konnten einfach über nichts mehr ernsthaft reden, wir waren zynisch und ironisch und unehrlich miteinander, und wir litten beide darunter, aber ändern ließ es sich auch nicht mehr.
    «Du wirst mich gar nicht mehr erkennen, wenn ich komme», sagte ich. «Ich bin ganz alt geworden und schlohweiß und potthäßlich.» Ich zog die Nase tüchtig hoch, stand auf und warf mich in einen Sessel, um

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