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Engel des Vergessens - Roman

Engel des Vergessens - Roman

Titel: Engel des Vergessens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallstein Verlag
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Großmutter gibt mir ein Zeichen mit der Hand, ich solle ihr folgen.
    Wir gehen durch die schwarze Küche in die Speisekammer. Am Gewölbe klebt alter Rauch wie dunkles, speckiges Harz. Es riecht nach Geselchtem und frischgebackenem Brot. Ein saurer Dunst hängt über den Futterkübeln, in denen Essensabfälle für die Schweine gesammelt werden. Der Boden ist lehmig und an den häufig begangenen Stellen glänzend wie poliert.
    In der Speisekammer schöpft Großmutter gehärtetes Schweineschmalz aus einem Topf und streicht es in den Bräter, dann fährt sie mit einem Löffel in die Apfelmarmelade und nimmt eine weißgraue Schimmelschicht ab, die sie zu den Abfällen wirft. Malada steht auf den Etiketten, die sie mit einem Brei aus Mehl, Milch und Speichel auf die Gläser geklebt hat. Ihre Malada ist dunkelbraun und schmeckt bittersüß.
    Sie legt mir eine Handvoll Eier in den Rock, den ich hochhalte. Im Durchzug lösen sich Rußflocken von den Wänden in der schwarzen Küche und legen sich auf die Brotlaibe, die hochgestellt auf einem Holzregal lagern. Unter dem Ofenloch, neben der Eingangstür, liegt zusammengekehrt ein Häuflein Asche.
    Großmutter arbeitet in der Küche. Die Speisen, die sie zubereitet, schmecken nach schwarzer Küche, nach der dunklen, schlecht beleuchteten Grotte, die wir täglich ein paar Mal durchqueren. Alles Essbare, scheint mir, nimmt den Geruch und die Farbe der Rauchküche an. Der Speck und das Heidenmehl, das Schmalz und die Marmelade, sogar die Eier riechen nach Erde, Rauch und gesäuerter Luft.
    Während des Kochens teilt Großmutter den Speisen Eignungen zu. Ihre Gerichte haben eine verborgene Kraft, sie können das Diesseits mit dem Jenseits verbinden, sichtbare und unsichtbare Wunden heilen, sie können krank machen.
    Ich trinke den Malzkaffee aus der Flasche, die sie für mich in der untersten Lade der Küchenkredenz versteckt hält. Du bist zu groß für die Flasche, sagt sie, aber solange du willst, werde ich sie dir bereiten. Ich lege mich auf die Küchenbank, um mich aus dem Blickfeld zu nehmen, und sauge den frisch zubereiteten Kaffee. Viel zu groß, wiederholt Großmutter. Wenn jemand kommt, stellst du die Flasche sofort auf den Boden.
    Großmutter meint, dass meine Mutter zu unerfahren sei für die Küche. Sie habe keine Ahnung, wie man koche, und was ihr die Nonnen in der Schule beigebracht haben, passe nicht in unser Haus. Sie wisse auch nicht, dass es Speisen für Lebende und für Tote gibt, dass man Menschen mit eigens zubereiteten Gerichten heilen oder verderben kann, das wolle sie ihr tatsächlich nicht glauben.
    Ich hingegen glaube Großmutter aufs Wort und drehe begeistert die Kurbel, wenn sie den Hafer röstet für den Kaffee. Ich höre ihr zu, wenn sie erzählt, für wie viele Menschen sie schon gekocht hat, damals zu Hause, als es noch Knechte und Mägde gab und sehr viele Kinder. Sie sagt, sie habe auch Essen gestohlen für sich und die anderen, sie habe nach jeder Kartoffelschale gesucht, nach allem, was essbar schien, damals, als sie die Kessel gewaschen hat, das war noch ein Glück, sagt sie, dass sie dahin gekommen sei, in die Küche, im Lager, ich weiß.
    Nach dem Abwaschen legt sie die emaillierten Schälchen und Töpfe zum Abtropfen auf das Fensterbrett. Das Abwaschwasser aus der Blechschüssel schüttet sie ins Freie. Ihre langen geröteten Finger sind nach dem Spülen violett. Sie sehen aus wie Krallen eines Greifvogels. Ab und zu pocht sie mit ihnen auf meinen Kopf. Mit einem Schürhaken hebt sie ein tellergroßes Gusseisenteil aus der Herdplatte des Sparherds und zerteilt die Glut, damit sie rascher auskühlt.
    Kaum setzt sie sich in Bewegung, folge ich ihr. Sie ist meine Bienenkönigin und ich bin ihre Drohne. Ich habe den Duft ihrer Kleidung in der Nase, den Geruch nach Milch und Rauch, einen Hauch von bitteren Kräutern, der an ihrer Schürze haftet. Sie gibt mir den Rundtanz vor und ich tänzle ihr nach. Ich passe meine kleinen Schritte ihren schleppenden an, ich summe eine zarte Melodie aus Fragen und sie spielt den Bass.
    Wir gehen in die Stube und sehen nach der Milchzentrifuge hinter der Tür, die wir ein paar Mal in der Woche drehen, um den Rahm von der Milch zu trennen. In der Kammer dahinter werden die Fenster geöffnet, die Betten, in denen wir schlafen, gelüftet, die Strohsäcke, die gefüllt sind mit getrockneten Maisblättern, aufgelockert, die Kräuter, die auf dem Fensterbrett liegen oder an Vorrichtungen aufgehängt sind, gewendet und

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