Kolonien der Liebe
weil man ja die Szene gewiß mehrmals drehen mußte.
Felice erschien am Drehort mit einem Pritschenwagen, auf dem der Hund später mit zusammengebundenem Maul liegen sollte, und Felice hatte ein sauber gebügeltes Hemd und blitzsaubere Arbeitshosen an. Der Regisseur fluchte, und Marja mußte mit roter Farbe Blutflecken auf Hemd und Hose malen und alles ein bißchen naß machen und zerknittern. Agnes kam in einem geblümten Seidenkleid mit Strohhut und sah wunderbar, aber nervös aus. Sie hatte Angst, die Brücke zu betreten und traute sich nicht in die Nähe des Geländers, von wo aus man in die dunkle, grüngraue Tiefe blickte. Sie gab Felice zurückhaltend die Hand und wartete mit zusammengepreßten Lippen, bis es losging. Während er auf der Brücke hielt, den Hund hinten runternahm und ihn in die Schlucht warf, sollte sie mit ihrem Auto auf die Brücke fahren, bremsen und Felice zur Rede stellen. Irmin sperrte die Straße ab, damit uns keine anderen Autos durch die Szene fahren konnten, und dann ging es los. Es war nach Wochen der erste Tag, an dem die Sonne schien, und sie schien kräftig, schon am frühen Mittag.
Wir probten zuerst mit Felice, den Hund so zu werfen, daß er im Netz landete und wieder hochgezogen werden konnte. Der Hund fing an, streng zu riechen, und keiner mochte ihn mehr anfassen.
Es war ein großer, schöner Hund mit gepflegtem Fell, aber durch das Einfrieren und Auftauen sah er struppig und etwas unförmig aus, und wir grausten uns alle vor ihm. Felice wollte Handschuhe haben, um ihn nicht anfassen zu müssen, aber der Regisseur sagte, daß italienische Bauern keine Handschuhe tragen würden, und bald wäre ja alles vorbei. Ich dachte an andere Regisseure, die in einem solchen Fall gesagt hätten: Sonst noch was! oder: Du bist Schauspieler und machst das gefälligst und basta. Aber so konnte er nicht sein, er ließ über alles mit sich diskutieren.
Jetzt waren wir soweit, daß Agnes kommen konnte. Felice stoppte, lud den Hund ab, Krisela gab Agnes ein Zeichen, sie fuhr los, bremste neben Felice, stieg aus. Die ersten beiden Male standen die Autos für Herrn Torstens Kamera nicht richtig nebeneinander. Beim drittenmal war Agnes nicht rechtzeitig losgefahren, und der Hund lag schon im Netz, als sie endlich kam.
Dann machte Felice einen Fehler, und der Hund fiel ihm vom Auto, so daß jeder sah, daß er schon tot war. Dann kam ein Bus mit Schulkindern und mußte durchgelassen werden. Wir wurden alle nervös, Agnes schwitzte und die Maskenbildnerin puderte ihr wieder und wieder Stirn, Hals und Nase. Dann hatte technisch alles geklappt,
aber Agnes stand vor Felice und starrte ihn nur aus weitaufgerissenen Augen an, ohne etwas zu sagen, sie hatte ihren Text vergessen oder er war ihr im Hals steckengeblieben. Felice fluchte, wischte sich den Schweiß ab und verlangte eine Pause.
Der Requisiteur packte den Hund in eine große Kühltasche mit Eis, Felice legte sich in die Wiese, Herr Torsten rauchte und lehnte sich dabei weit übers Geländer. Irgendwie hätten wir alle Lust gehabt, ihm einen kleinen Schubs zu geben. Der Regisseur flüsterte mit Agnes, die in Tränen ausgebrochen war, und Krisela wandte sich ab und schniefte eine Portion. Ich wollte mein Frühstückshörnchen aufessen, aber ich kriegte keinen Bissen runter, und inzwischen dampfte es aus der Schlucht hoch, als hätte sich die Hölle aufgetan. Nach den wochenlangen Regenfällen erwärmte sich die nasse Erde und schickte das viele Wasser, das sie hatte schlucken müssen, in die Luft zurück. Es sah gespenstisch aus und war schwül und schwer zu atmen.
Felice kaute an einem Grashalm und sah aus schmal zusammengekniffenen Augen zu Agnes hinüber. In seinem Blick waren Haß und Leidenschaft, er verachtete sie und wollte sie haben, und sie, die Männererfahrene, an der Schwelle zum ‹nicht mehr jung und nicht mehr schön sein›, beruflich bereits an zweitklassigen Theatern und in drittklassigen Fernsehserien gelandet, sie spürte all das und wehrte sich und verzweifelte zwischen Angst und Bosheit. Am liebsten wäre ich zum Regisseur gelaufen und hätte gesagt, hör mal, ändere um Himmels willen diese Szene, laß sie nur vorbeifahren und sehen, wie er den Hund in die Schlucht wirft, aber laß sie nicht aussteigen, nicht zu ihm gehen, das geht nicht gut. Aber ich tat es nicht, weil ich nur das Scriptgirl war, weil ich mich nicht wichtig machen wollte, weil ich mich nicht in die Nähe von Agnes traute, ach, warum tut man etwas
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