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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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nicht, von dem man spürt, es wäre das Richtige - vielleicht, weil der Augenblick, in dem man es spürt, zu kurz ist. Herr Torsten drehte sich um und sang «Leavin' Memphis with a guitar in his hand and a one-way-ticket to the promised land...», und als alle ihn entsetzt ansahen, weil er jetzt singen konnte, hörte er auf damit, pfiff und ging hinter seine Kamera zurück. Marja glättete Felices Garderobe, und der Regisseur rief: Laß das, Marja, jetzt ist es endlich gut so! Agnes setzte ihren Strohhut auf und ging zu ihrem Auto zurück. Irmin sperrte die Straße, das Ganze ging von vorn los. Felice fuhr an die Stelle, die auf der Brücke mit Lassoband gekennzeichnet war, stoppte, nahm den Hund und warf ihn in die Tiefe, beziehungsweise natürlich ins Netz. Agnes fuhr los, stoppte, stieg aus und lief auf Felice zu. In ihrem Gesicht war soviel Haß und Angst und Wut, sie schlug Felice mit den Fäusten auf die Brust, was nicht im Drehbuch stand, und er starrte sie an mit seinen blauen Augen und packte sie plötzlich unter den Armen, hob sie hoch und hielt sie weit übers Geländer - sie hing über der Schlucht, einen Moment, eine Ewigkeit, ich weiß es nicht, ich schloß die Augen. Es war totenstill bis auf das Grollen des Wassers von tief da unten - kein Schrei, niemand lief hin, Felice stand einfach da und hielt Agnes übers Geländer, und als ich wieder hinschaute, sahen sie sich an. Beiden lief der Schweiß übers Gesicht, Agnes war unter ihrer Schminke leichenblaß geworden, und er zitterte am ganzen Körper. Ich hatte Todesangst, daß er sie nicht mehr würde halten können. Im Zeitlupentempo bewegte sich jetzt der Regisseur auf die beiden zu, streckte den Arm aus, kein Ton kam über seine Lippen, Herr Torsten stand neben seiner noch laufenden Kamera und rührte sich nicht. Marja hatte beide Hände vor den Mund geschlagen und die Augen weit aufgerissen, und dann endlich, unendlich langsam, schwenkte Felice mit Agnes in den Händen zurück über das Brückengeländer und setzte sie sanft und ganz vorsichtig auf der Brücke ab. Er atmete schwer, ließ die Arme hängen, und Agnes stand da und lehnte ihren Kopf an seine Brust. Der Regisseur blieb stehen, und wir wußten alle nicht, was jetzt geschehen würde -
    Tränen, Geschrei, Zusammenbrüche, eine Schlägerei, es war alles möglich, doch statt dessen ging Agnes zu ihrem Auto, ohne ein Wort zu sprechen, fuhr zurück an den Ausgangspunkt und wartete mit laufendem Motor. Felice zog den Hund aus dem Netz, warf ihn hinten auf den Pritschenwagen und fuhr ebenfalls an seinen Ausgangspunkt, auf der anderen Seite der Brücke. Der Regisseur stand ratlos da, gab dann dem Kameramann ein Zeichen, und gespenstisch begann die Szene noch einmal von vorn. Felice fuhr vor, bremste, stieg aus und nahm den Hund. Von der anderen Seite kam Agnes, hielt scharf neben ihm, stieg aus, rannte auf ihn zu, und Felice schleuderte mit einem riesigen Schwung den widerlichen Hundekadaver, halb gefroren, halb aufgetaut, weit über das Tal, wie ein großer Vogel flog er ein Stück und fiel dann senkrecht herunter, während Agnes schrie und tobte und auf Felice einschlug und kreischte und brüllte und weinte und ihm das Hemd in Fetzen riß. Felice schleuderte sie von sich weg, zündete sich eine Zigarette an, stieg ein und fuhr davon. Agnes blieb auf der Brücke liegen.
    Die Szene war großartig, und sie war im Kasten, und niemand sagte ein Wort. Der kleine Bus fuhr die Schauspieler ins Hotel zurück, die Crew baute Netz, Kabel, Lampen und Straßensperrung ab. Ich saß mit Irmin, Krisela und dem Regisseur im Auto, niemand sprach. Irmin fuhr wie auf Glatteis, vorsichtig, als hätte er eben erst einen schweren Unfall überlebt. Im Restaurant saßen die, die an diesem Tag drehfrei hatten, spielten Karten und wollten uns entgegenjohlen, aber sie schluckten es herunter, denn wir müssen eigenartige Gesichter gemacht haben. Jeder ging sofort aufsein Zimmer, und ich glaube nicht, daß jemand in dieser Nacht gut schlief. Unten wurde noch lange geredet und getrunken, die Bühnenarbeiter und Requisiteure schmückten die Geschichte wohl in immer neuen Varianten aus, und gegen drei Uhr früh hörte ich den Szenenbildner mit seinen Mitarbeitern durch den Flur torkeln, und er rezitierte laut und betrunken Shakespeare: Was ist das Leben? Eine Mär, erzählt von einem Idioten, ohne Sinn und nichts bedeutend. Jawoll. Am nächsten Tag war Felice abgefahren, seine Drehzeit war zu Ende, er verabschiedete sich von

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