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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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und rückte meinen Stuhl näher ans Feuer. Mein Grappaglas nahm ich mit und schaute in die Flammen, die loderten und knisterten, und ich hätte gern einen Tannenzweig verbrannt, damit es nach Weihnachten gerochen hätte. «Scheißweihnachten», sagte ich und legte noch ein Stück Holz nach, und Franco sagte: «Erika», und der Kopf fiel ihm herunter.
    Als ich aufwachte, war es gegen Morgen und das Feuer war ausgegangen. Steif geworden hing ich in meinem Stuhl, das Grappaglas lag in Scherben auf dem Boden. Tageslicht drang durch die Vorhänge, und quer über dem Tisch lag der dicke Franco, den Kopf auf Erika gebettet, und schlief.
    Ich stand sehr leise auf, nahm meine Tasche und ging, ohne ein Geräusch zu machen. Der Schlüssel steckte in der Haustür, die ich hinter mir zuzog. Die Straße lag still und leer da, ich sah zur Pensione Montalbina hoch und dachte: «Alles Gute, Erika, tröste ihn, du kannst es!» und ging zum Bahnhof. Zu Hause in Berlin fand ich ein Telegramm von Franz: «Was ist los, verdammt?», und ich telegraphierte zurück: «Nichts. Adieu» und rief meine Mutter an, die noch gar nicht gemerkt hatte, daß ich weggewesen war und daß erster Weihnachtstag war.

Dein Max
    «Dieser Frühling ist ein Frühling der aufgerissenen Fenster und Türen», schrieb er, «aus denen vieles rausfliegt, das lange angestaubt war und auf wackligen Beinen herumstand. Vielleicht fliegt dabei auch einiges mit, was man noch hätte gebrauchen können, aber das wird sich erst später herausstellen. Zwischen uns, liebe Rita, gibt es vieles, was nicht stimmt. Tja. So ist das nun mal alles gekommen. Und jetzt kommt was anderes. Leb wohl, Dein Max.»
    Der Brief war sechs Seiten lang, in seiner schönen Schrift. Rita las ihn um zehn Uhr zwanzig an einem strahlendblauen Vormittag im März. Sie schnappte sich den Hund und suchte einen Weg aus, den sie schon lange nicht mehr gegangen war. Die Natur sah ziemlich mitgenommen aus - das war ein grimmiger Winter gewesen, zu lang, zu kalt, zuviel Schnee, böse Stürme. Die meisten Birken waren einfach in der Mitte durchgebrochen, Bäume lagen kreuz und quer durcheinander, die Wege waren tief zerfurcht. Rita wollte schon lange weg aus dieser Gegend, in der man die Jahreszeiten so deutlich miterleben mußte. Das war nichts für sie, sie liebte die immergleichen grauen Dunsttage der Städte.
    Der Hund schleppte Stöcke an, die sie ihm werfen sollte. Er sprang ausgelassen vor ihr herum, und Rita dachte, gut so, mein Lieber. In jedes schwarze Loch, das sich anbietet, fall ich auch nicht mehr. Schreib doch, was du willst, ich denke nicht daran, jetzt trübselig zu werden.
    Am Landgut waren sie fast fertig mit den Bauarbeiten.
    Jahrzehntelang war das Gut vor sich hin verrottet, bis dann der elektrische Millionär gekommen war und alles im alten Stil sanieren ließ, sogar das zerfallene Gartenhaus hatten sie höchst putzig wiederaufgebaut. Da hatte sich damals der Maler Ulrich aufgehängt, als sie ihm wegen der bevorstehenden Renovierung kündigten. Eines Tages, dachte Rita, wenn der Millionär mit seiner dritten und gewiß bezaubernden Gattin hier eingezogen ist, werde ich klingeln und sagen: Entschuldigen Sie die Störung, aber ich möchte Ihnen nur rasch die Stelle zeigen, an der der Maler Ulrich sich Ihretwegen aufgehängt hat.
    Der Hund haute ihr einen großen Stock in die Kniekehlen, und sie riß ihn brutaler aus seinem Maul als nötig gewesen wäre und schmiß ihn den verwüsteten Hang hinunter. Sie rannte, bis Herz und Lungen schmerzten, und weinte zornig, weil ihr nie wieder Ivan, der wildernde Hund des Malers Ulrich begegnen und sie anblaffen würde, dieser schöne ungestüme Wüstling, der nach dem Tod des Malers erschossen worden war, weil niemand mit ihm fertig wurde.
    Das neckische Hexenhäuschen war jetzt in der Talsenke zu sehen. Ausgerechnet da hatten sie den Kinderfunk untergebracht.
    Wenn ich ein elektrischer Millionär wäre, dachte Rita, würde ich es ganz und gar mit Zuckerplätzchen und Lebkuchen bepflastern und von Aussiedler-, Türken- und Zigeunerkindern leer fressen lassen, dann hätten wir wieder was Herziges für die Lokalpresse.
    Mitten in der zerschlagenen Landschaft wuchsen doch wahrhaftig schon erste Frühlingsblumen, eine Gegend für Rotkäppchen, aber ohne Wolf. Rotkäppchen. Ausgerechnet über Rotkäppchen hatte Rita sich neulich eine ganze Nacht lang gestritten mit irgendeinem Roland, Ilses psychologischer Neuerwerbung. Ilse war Ritas Freundin - nein, das war

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