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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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er gesagt: «Weißt du was, wir beide sollten hier weggehen.»
    Sie hatte so getan, als hätte sie das nicht gehört, denn wenn Sätze, von denen man immer träumt, auf einmal wirklich gesagt werden, also, das ist einfach zu blöd. Sie war statt dessen nach hinten an die Theke zu Lisa gegangen und hatte sich einen Wodka mit Amaretto mixen lassen, Good mother hieß diese grauenvolle Mischung, und Lisa sagte denn auch «What's good about it» und «du bist aber nicht gut drauf heute». Rita wußte, daß sie sich nie und nirgends je so wohl fühlen würde wie in dieser elenden Kneipe mit dem Neonlicht, den schlecht gespülten Gläsern, mit dem kleinen Dichter, der dem egozentrischen Musiker den Aschenbecher auf den Kopf haute und mit der Musik, die sie hier spielten, gerade war es Lou Reed und er sang «please, say hello».
    Max war zu ihr an die Theke gekommen und sagte: «Also, ich muß hier raus, wir treffen uns dann um halb eins im alten Roxy.»
    Rita versuchte sich zu erinnern, ob er sie geküßt hatte, kann schon sein, jedenfalls stand ihr Herz still vor lauter Zärtlichkeit für sein bitteres, müdes Gesicht.
    Sie rappelte sich auf und ging weiter, der Hund blieb ratlos dicht neben ihr und verstand nicht, warum sie weinte. Es stimmt nicht, daß es die großen Katastrophen wie Krieg, Feuersbrunst oder Krebs sind, die uns fertigmachen. Das Herz bricht still zwischendurch an einem klaren Märztag, leb wohl, dein Max.
    Dagegen gab es kein Mittel. Das war diese neue Generation, die räumte rigoros mit verstaubten Gefühlen auf, während Rita ihre schal gewordenen Lieben durch die Jahrzehnte schleppte und elend an ihnen wurde. Max war zehn oder zwölf Jahre jünger als sie, da kann man noch die Fenster aufreißen und alles rausfliegen lassen, aber mach das mal mit Mitte Vierzig. «Du verdammtes Schwein», schrie Rita, «du Schuft, du Wichser, du grenzenloses Miststück», und sie trat gegen einen Baum, bis ihr der Fuß weh tat.
    Der Hund stand ein Stück abseits mit eingeklemmtem Schwanz und angelegten Ohren.
    Sie zog die Nase hoch und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen ab. «Scheißkerl», schrie sie und trat noch einmal gegen den Baum, ehe sie weiterging. Sie waren im Roxy damals, und es war fürchterlich gewesen. Ein Künstler machte eine Performance, eine unglaublich aggressive Geschichte: auf großen Monitoren lief
    «The day after», und aus vier Lautsprechern kam Bombenlärm. In der Mitte des Raums ein Maschendrahtkäfig mit Männern in olivgrünen Uniformen, die mit Knüppeln Männern in blauen Arbeitskitteln auf die Köpfe schlugen. Die Köpfe steckten unter roten Plastikeimern. Auf dem Boden Glasscherben, und daneben ein zweiter Maschendrahtkäfig, in dem ein nacktes Paar miteinander tanzte. Alles, wovor Rita Angst hatte, passierte hier in diesem Raum auf ein paar Quadratmetern, und plötzlich war Max wieder da und hatte den Arm um sie gelegt. Als Rita es nicht mehr aushaken konnte, war sie hinausgelaufen und über die Straße in die alte kleine Kirche gegenüber geflüchtet. Es war schon nach ein Uhr nachts, aber die Kirche war offen, kühl und still und voll von der zynischen Abwesenheit Gottes. Rita hatte am Seitenaltar alle Opferkerzen ausgeblasen, und eine Pennerin, die auf der letzten Bank schlief, hatte sie entsetzt angesehen und sich bekreuzigt.
    Danach war Rita nicht mehr zurückgegangen ins alte Roxy, sondern hatte wieder ihre Kneipe angesteuert. An einer Stelle der Straße rissen ein paar Punks frisch gepflanzte junge Bäume aus und zertrampelten sie, stachen mit Messern in die Reifen eines angeketteten Fahrrads, pinkelten an eine Haustür. In der stillen, gepflegten Stadt, in der sie wohnte, hatte Rita immer Angst, aber hier war die Sache klar - Krach, Gewalt, Aggressivität, offen und unversteckt, damit kam sie zurecht und fühlte sich fast geborgen.
    Die Kneipe hatte schon zu, aber Rita kannte den Weg über den Hof nebenan und durch die Küche, den nur die Stammgäste kennen. Lisa zog sich eine Linie Koks rein, Mascha und der mit den Narben hatten Champagner bestellt, der kleine Dichter war auf dem Fußboden eingeschlafen. Tom Waits sang «I never heard the melody till I needed the song», und der hohläugige Alte spielte im Hinterzimmer Billard gegen die beiden Mädchen. Am Ecktisch saß der Kranke, seine Krücken neben sich gelehnt, und trank mit geschlossenen Augen Tee. Lisa machte Rita noch einen Wodka, drehte die Musik ab und schob das Video mit Tina Turner und David Bowie rein. Alle

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