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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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hätte. Der Zug fuhr die schöne Strecke am Rhein entlang durch eine Gegend, in der sie ein kleines Mädchen gewesen war - Faltenröcke, Tagebücher, Klavierstunden, Liebesbriefe. Hinter Budenheim ist eine Glashütte - Katharina, Katharina, meine Freundin, wo bist du?
    Weißt du noch, wie wir auf der Wiese lagen und uns vorstellten, was eine Glashütte sein könnte? Das mußte der Ort sein, an dem der verwunschene Königssohn mit den Tieren lebte, und abends kamen die verirrten Köhlertöchter und machten erst das Nachtessen und das Lager für sich selbst und dann für die Tiere, und die Tiere schüttelten traurig die Köpfe, sagten «ducks!», und die Köhlertöchter fielen durch Falltüren in tiefe Keller, bis einmal die kam, die zuerst für die Tiere sorgte, ehe sie sich schlafen legte, und da tat es Blitz und Donnerschlag und die Glashütte verwandelte sich in einen Glaspalast, und da lebte die Köhlertochter glücklich mit dem Königssohn - Katharina, was ist aus den kleinen Mädchen mit den gläsernen Träumen geworden?
    Die Glashütte hinter Budenheim ist aus Wellblech, denn wenn wir älter werden, gibt es keine Prinzen und keine Glaspaläste mehr, nur noch Donnerschläge.
    In dieser Landschaft war Rita mit Hermann durch die Weinberge gegangen, und sie war auf eine Bank gestiegen und Hermann hatte ihr an den Mantelsaum ein Stück Nerz genäht, ringsum, denn das war der Winter der Piroschka-Mode, und alle Mädchen wollten aussehen wie Anouk Aimee in «Ein Mann und eine Frau», mit Pelz am Saum. Damals hielt Glück noch ganze Nachmittage lang, heute bringen wir es auf fünf bis zehn Minuten, wenn wir uns geliebt haben ohne zu reden.
    Im Taxi lief Elton John, «All quiet on the western front». Rita ließ den Taxifahrer einen Umweg nehmen, damit sie den Song ganz hören konnte, aber dann hatte sie sich doch vor ihrer Stammkneipe absetzen lassen, und alles war wie immer. Der kleine dicke Dichter war da, ganz in Schwarz, und sie hatten sofort Streit bekommen, schrien sich an, tranken Wodka und fühlten sich wohl. Mascha stellte sich dazu und zeigte ihren schönen Busen, da hatte der kleine Dichter auf Augenhöhe ordentlich was zu gucken, denn Mascha war gute einsachtzig. Sie roch nach hundert verschiedenen Männern, und Rita hatte alle Männer zum Teufel und sich in Maschas Arme gewünscht, aber dazu waren sie alle noch nicht betrunken genug. Rita wechselte auf weißen Rum mit Zucker und Limone, damit ging es bei ihr immer am schnellsten.
    Das Schöne an Mascha war, daß sie nie sprach, sie stand immer nur da, weich, seidig, fahrig, ein Glas in der Hand, und plötzlich war sie wieder weg, allein oder mit jemand, der ihr den richtigen Blick zugeworfen hatte.
    Zwei Musiker waren dazugekommen, der egozentrische und der experimentelle. Der egozentrische war gerade in Brasilien gewesen und tönte herum, daß er den Brasilianern erst mal beigebracht hätte, was Tango wäre. «Argentinien!» murmelte Rita matt. «Tango, das ist Argentinien», und er schrie sie an: «Warst du da oder ich, Mann?» und stritt sich dann mit dem kleinen Dichter über den Sinn von Kaffee-Solidaritätsabonnements für Nicaragua.
    Der experimentelle Musiker hatte was Falsches gegessen und kotzte quer über den Tisch und sah dann so aus, als würde er dem egozentrischen gleich eins in die Fresse geben. Rita hoffte sehr darauf, denn Schlägereien unter Freunden hatten immer etwas Befreiendes.
    Mascha war mit diesem Typ weggeschwebt, der von einem brennenden Auto die dicken Narben an den Armen hatte und immer kurzärmelige Hemden trug, damit man sie auch sah. Dafür liebte Rita ihn, das machte alles so klar und einfach, und außerdem konnte er keinen vernünftigen zusammenhängenden Satz sagen. Der Alte war noch gekommen, mit zwei hohläugigen Mädchen. Er hatte eine Kneipe hinterm Bahnhof, heute war sein Ruhetag, und weil Leute mit Kneipen an ihren Ruhetagen nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen, sitzen sie dann eben in ändern Kneipen. Plötzlich sagte jemand: «Da ist ja Max», und sie hatte ihn zum erstenmal gesehen.
    Rita kroch auf Händen und Füßen keuchend hinter dem Hund her einen Abhang hinauf. Immer wieder blieb er freundlich wedelnd stehen und wunderte sich, wieso sie so langsam war. Oben legte sie sich atemlos und erschöpft auf
    den feuchten, weichen Boden, und der Hund leckte ihr mit seiner warmen Zunge übers Gesicht.
    Sie hatten sich angesehen, er, der lange Magere, der Ruhige, und sie, die kleine Quirlige, und dann hatte

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