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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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sie natürlich nicht, Ilse war eine schmuddelige Schlumpfliese, die sie mal vor sieben oder acht Jahren kennengelernt hatte und die ihr mit Briefen und Telefonaten eine zähe, klebrige Freundschaft angehängt hatte - «rat mal, wer um diese Zeit noch anruft?» Rita hatte Ilse eigentlich in den letzten Jahren immer nur benutzt als Ausflucht, wenn sie Max nicht treffen wollte. (Mein Gott, dachte sie, immer war ich es doch, die beschlossen hat, ob man sich sieht oder nicht, warum trifft es mich dann jetzt so, wenn er es ist, der schreibt: leb wohl?) Ilse und Roland. Rotkäppchen. Ob das nun was Sexuelles war, hatten sie bis vier Uhr früh diskutiert, und was
    «auffressen» bedeutet, und wer Wolf, wer Jäger ist a) in der Geschichte, b) im Leben, und Roland hatte Wörter wie
    «Identitätsdesign», «Leidensspreizung» und «Ego-Zubehör»
    benutzt, und Rita hatte gesagt: «Was hast du denn da wieder für ein Arschloch aufgetan, Ilse», als er zum drittenmal aufs Klo schlurfte.
    Ilse hatte Roland auf der Uni kennengelernt, er war Psychologe mit Lehrauftrag, und auf diese kleinen ungesunden Besserwisser war sie ja schon immer abgefahren. Ilse liebte häßliche, verklemmte Männer, die bedeutend jünger waren als sie, ihr die Tasche trugen und beim Geschlechtsverkehr in Tränen ausbrachen, weil irgendwas aus ihrer Kindheit sie überwältigte.
    Rita hatte Ilse damals schon aus dem Zug angerufen, vorsichtshalber, denn wäre sie allein in eine Kneipe gegangen, hätte sie sich ja früher oder später doch mit Max getroffen, und sie wollte versuchen, ihn eben nicht zu treffen. Dann schon lieber ein zäher Abend bei Ilse, und die hatte sie auch gleich beschworen,
    «du mußt Roland kennenlernen, es ist alles noch ziemlich distanziert zwischen uns, weißt du, weil ich noch so angeschlagen bin von der Kiste mit Olaf. Olaf läßt dich übrigens grüßen, wir treffen uns jetzt manchmal freundschaftlich in der Bhagwan-Disco, aber das darf Roland nicht wissen, er ist so irrsinnig sensibel.»
    Spätestens da hätte Rita sagen sollen, Ilse, leck mich sowohl mit Olaf als auch mit dem irrsinnig sensiblen Roland am Arsch, ich kann euch ehrlich gesagt alle nicht mehr ertragen, und sie hätte vom Bahnhof aus direkt in ihre Kneipe fahren sollen, in der das scharfe Video mit Tina Turner und David Bowie lief. Statt dessen hatte sie sich von Ilse am Zug abholen lassen, lila Rock mit braunen Rosen, Gesundheitsschuhe, rote Lippen, zu große Ohrringe. Max, Max, Max, hatte Rita gedacht, Max, wo bist du, Hilfe, Schönheit, mehr Liebe, bitte!
    An der Tür schlug ihr Essensgeruch entgegen, Roland hatte gekocht. «Keinen Hunger», sagte Rita würgend, «ich eß immer im Zug.»
    Sie tranken Champagner in der Küche, Ilse löffelte Gemüsesuppe und sagte: «Erzähl doch mal von deiner Arbeit.»
    Rita erfand ein paar spannende Konflikte und bereute es, als sie sah, wie fassungslos vor Entzücken ihr Ilse zuhörte, mit offenem Mund, aus dem die Suppe lief. «Toll», sagte Ilse, «was du immer alles erlebst», und Rita dachte: Warum, verdammt noch mal, schaffe ich es nicht, die Leute so zu langweilen, daß sie mich vergessen? Jetzt würde Ilse wieder schreiben und anrufen und anrufen und schreiben und es nahm nie ein Ende.
    Roland kam in die Küche, und sie hatten sofort Streit gekriegt.
    Irgendwer hatte von Rotkäppchen angefangen, und Rita hatte die Diskussion in immer absurdere Ecken getrieben - sexuell? Mann -
    Wolf, penetrieren? Alles Scheiße! Rotes Mützchen! Marx! Um Außenseiter ging es, alles politisch, Kommunistenfresser.
    Rita stellte fest, daß sie auf einmal doch Blumen gepflückt hatte, ein mageres Sträußchen. Sie legte sie auf eine Bank und atmete tief durch. Ilse, Roland. Weg damit. Sie würde einen Brief schreiben, liebe Ilse, dies ist der Frühling der offenen Fenster...
    Mein Gott, wie weh das tat. War sie für Max so lästig gewesen wie ihr Ilse ist? Ab damit, auf den Erledigthaufen? Leb wohl, dein Max. Und das in diesem Jahr, in dem sowieso bis jetzt alles schiefläuft, und dabei ist es erst März.
    Der Hund hatte unter einem Laubhaufen einen Igel entdeckt und scharrte und bellte. Er trottete nur widerwillig hinter Rita her, die fest und energisch ausschritt. Nein, sie machte sich nichts vor: Zwischen ihr und Max hatte von allem Anfang an nichts gestimmt.
    Schon das Kennenlernen war eine kranke Sache gewesen, an einem jener Tage, an denen Rita nach Köln fuhr, ohne dort etwas zu tun zu haben, einfach so, weil Stillstand Tod bedeutet

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