Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
anderen, die ihnen zu nehmen versuchten, was sie rechtmäßig als das Ihre erachteten.
Harry setzte sich auf den Beifahrersitz.
»Hektischer Abend?«
»Ich hab den Fuß nicht einmal vom Gaspedal genommen«, sagte Øystein, legte die Lippen vorsichtig um eine mikroskopisch dünne Selbstgedrehte und blies den Rauch zum Seitenspiegel, in dem er die Schlange hinter sich wachsen sah.
»Wie viele Stunden von so einer Schicht hast du eigentlich zahlende Fahrgäste im Auto?«, fragte Harry und nahm sein Zigarettenpäckchen heraus.
»So wenige, dass ich jetzt überlege, das Taxameter einzuschalten. He, kannst du nicht lesen?« Øystein zeigte auf das Rauchen-verboten-Schild auf dem Handschuhfach.
»Ich brauche einen Rat, Øystein.«
»Ich sage nein, heirate nicht. An der Frau, an Rakel, ist absolut nichts auszusetzen, aber eine Ehe bedeutet mehr Schwierigkeiten als Spaß. Hör auf einen alten Fuchs.«
»Du warst doch nie verheiratet, Øystein.«
»Sage ich doch.« Sein alter Freund zeigte ihm die gelben Zähne in seinem mageren Gesicht und warf den Kopf nach hinten. Der dünne Pferdeschwanz schlug gegen die Kopfstütze.
Harry zündete sich die Zigarette an. »Wenn ich daran denke, dass ich dich gebeten habe, mein Trauzeuge zu werden …«
»Ein Trauzeuge muss einen klaren Kopf haben, Harry. Und eine Hochzeit, auf der man sich nicht betrinken kann, ist ebenso sinnlos wie Tonic ohne Gin.«
»Okay. Es geht mir aber gar nicht um Eheberatung.«
»Dann red schon, Eikeland hört zu.«
Der Rauch brannte in Harrys Hals. Seine Schleimhäute waren die zwei Packungen pro Tag nicht mehr gewohnt. Er wusste, dass Øystein ihm in dieser Sache keinen Rat geben konnte. Jedenfalls keinen guten. Seine hausgemachte Logik und seine Lebensprinzipien hatten ihm ein dysfunktionales, spezielles Leben beschert, das nur wenige interessierte. Die Säulen des Eikeland’schen Hauses waren der Alkohol, das Singledasein, Frauen aus der untersten Liga, ein interessanter Intellekt, der leider zwischendurch außer Betrieb war, und ein gewisser Stolz und Selbsterhaltungstrieb, dank dem er mehr Taxi fuhr als trank, und nicht zuletzt die Fähigkeit, dem Leben und dem Teufel auf eine Weise ins Gesicht zu lachen, die Harry einfach nur bewundern konnte. Harry holte tief Luft. »Ich habe den Verdacht, dass ein Polizist hinter den Polizistenmorden steckt.«
»Dann bring ihn hinter Schloss und Riegel«, sagte Øystein und fischte sich ein Stückchen Tabak von der Zunge, ehe er abrupt innehielt. »Hast du Polizistenmorde gesagt? Die Polizistenmorde?«
»Genau. Es gibt da nur ein Problem: Wenn ich diesen Mann verhafte, wird er mich mit in den Abgrund ziehen.«
»Wie das?«
»Er kann beweisen, dass ich den Russen im Come As You Are getötet habe.«
Øystein starrte mit großen Augen in den Spiegel. »Du hast einen Russen umgebracht?«
»Also, was soll ich machen? Fasse ich den Mann, ist das auch mein Untergang. Dann hat Rakel keinen Mann und Oleg keinen Vater mehr.«
»Das ist richtig.«
»Was ist richtig?«
»Es ist richtig, dass du sie vorschiebst. Auf jeden Fall ist es ziemlich klug, solche philanthropischen Argumente in der Hinterhand zu haben, dann schläft man viel besser. Ich habe immer darauf gesetzt. Erinnerst du dich noch daran, wie ich beim Apfelklauen die Biege gemacht und Holzschuh allein zurückgelassen habe? Er war mit seinen Kilos und dann noch mit diesen Schuhen ja nicht so schnell. Ich habe mir eingeredet, dass Holzschuh die Schläge dringender brauchte als ich. Als moralische Stütze sozusagen, um ihn in die richtige Richtung zu lenken. Denn eigentlich wollte er ja ganz normal sein, während ich, na ja, ich wäre ja am liebsten Gangster geworden, und was sollte ich da mit einem grün und blau geprügelten Rücken, wegen ein paar blöder Äpfel?«
»Ich schiebe aber niemand anderem die Schuld in die Schuhe, Øystein.«
»Und was, wenn der Typ noch weitere Bullen umbringt, während du weißt, dass du ihn stoppen könntest?«
»Das ist ja genau der Punkt«, sagte Harry und blies den Rauch gegen das Verbotsschild.
Øystein sah seinen Freund lange an.
»Tu es nicht, Harry.«
»Tu was nicht?«
»Nicht …« Øystein ließ das Fenster auf seiner Seite herunter und schnippte den feuchten Rest seiner Zigarette nach draußen. »Außerdem will ich das gar nicht hören. Tu es einfach nicht.«
»Nun. Das Feigste, was ich tun kann, ist vermutlich, nichts zu tun. Mir einzureden, dass meine Beweise nicht ausreichen, was im Grunde nicht
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