Komm her, Kleiner

Tür öffnet. Verdattert gehe ich widerstandslos aus der Wohnung. Als ich mich noch einmal umdrehe, lächelt sie mich an. „Wenn du wiederkommen willst“, beginnt sie, „dann musst du selbst zahlen.“
     
    ***
     
    Der Wagen mit der Post kam immer am späten Nachmittag. Annette erhob sich aus dem bequemen Liegestuhl auf der Veranda und ging ihm entgegen. „Anything for me, Tony?” , fragte sie den Fahrer mit einem entspannten Lächeln.
    „Yeah“ , grinste er sie an und drückte ihr einen dicken, gefütterten Umschlag in die Hand. „But I think it’s not from the guy who is usually sending your stuff. Looks more like a woman’s handwriting.”
    „ I know. It’s a video I ordered.”
    „ Let me guess: Your friend taped your favourite sitcom?”
    „ No, I’m not that kind of girl.“ Annette lächelte. „ She filmed someone through a mirror.”
    Tony schaute sie erstaunt an. „Filmed doing what?”
    „Having sex.”
    „You Germans are crazy!” , lachte Tony und schüttelte den Kopf. Dann begann er, die restliche Post auszuladen und in die Poststelle des Great Barriere Riff Creative Center zu tragen. Er mochte diese Annette. Sie war eine schöne Frau, entspannt, humorvoll. Manchmal wirkte sie ein bisschen traurig. Und im Gegensatz zu den anderen Frauen, die für ein halbes Jahr hier hinkamen, versuchte sie nicht, einen der Männer ins Bett zu ziehen. Er hatte sie mal gefragt, ob sie einen Freund in Deutschland habe, dem sie treu sei. Ob das der wäre, der ihr einmal im Monat die Post nachschickte. Sie hatte nur gesagt, dass sie das selbst manchmal nicht genau wüsste.
    Wie konnte man denn nicht wissen, ob man in einer Beziehung war?
    Germans are crazy.
     
    Annette ging in ihr geräumiges Zimmer und schaltete den Fernseher ein. Einen Videorekorder, der auch europäische Videokassetten abspielen konnte, hatte sie sich bereits vor einigen Tagen bringen lassen.
    Die Kameraeinstellung zeigte ein Bett, dahinter ein Zimmer mit einem Ledersessel. Annette kannte das Zimmer. Sie hatte es sich vor ihrem Abflug angesehen und die Videoanlage hinter dem breiten Spiegel zeigen lassen. Nun stand sie auf und machte den Ventilator aus. Dann öffnete sie die Minibar, schenkte sich aus einer kleinen Flasche Champagner ein und setzte sich in einen eleganten Sessel.
    Auf dem Bildschirm tauchte die Frau auf, die Annette engagiert hatte, gefolgt von Michael. Er zog sie an sich und begann, sie zu küssen. Als er später, kurz vor Ende der Aufnahme, ohne es zu wissen, direkt in die Kamera sah, hatte Annette kurz das Gefühl, er würde ihr direkt in die Augen sehen.
    Sie lächelte.

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