Komm mit mir nach Caracas
„Ja, wahrscheinlich", räumte sie ein, als sie aufstand, um Luis zu wickeln.
„Liebe kann sich schnell in Hass verwandeln. Sie ist nie von Dauer", bemerkte Raul zynisch.
„Für viele Menschen schon", erwiderte sie geistesabwesend, da sie gerade auf dem Boden kniete und Luis die Windel abnahm. „Erinnerst du dich an das, was ich vorhin am Telefon gesagt habe ... Dass wir nicht heiraten müssen?"
Da er nicht sofort antwortete, sah sie auf.
Grimmig erwiderte Raul ihren Blick. „Und ob."
„Warum wartest du nicht im Wohnzimmer? Ich komme gleich nach", meinte sie unbehaglich.
Wenige Minuten später lag Luis wieder in seiner Wiege und wirkte mit sich und der Welt zufrieden.
„Ich hab dich lieb", flüsterte sie zärtlich. Das Gespräch mit Raul stand ihr bevor, aber sie war überzeugt, dass er sehr erleichtert sein würde, wenn sie ihm vorschlug, ihre Ehe zu annullieren.
Er stand am Kamin und drehte sich um, als sie das Wohnzimmer betrat. „Ich mag diesen Raum nicht. Man bekommt Platzangst, weil der Wintergarten die ganze Aussicht versperrt!"
„Maxie hat Höhenangst. Deswegen sind die Mauern so hoch ..." Verlegen blieb Polly stehen. „Raul?"
„Ich lasse mich nicht von dir scheiden", erklärte er unvermittelt.
Hatte er etwa Angst davor, dass sie eine Abfindung haben wollte?
Bei der Vorstellung errötete sie vor Zorn. „Wir müssen uns nicht scheiden lassen.
Wir können die Ehe annullieren lassen. Dann ist es, als hätten wir nie geheiratet."
Raul stand regungslos da und betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen.
„Annullieren?" wiederholte er leise.
.„Ja, warum nicht?" erwiderte sie angespannt. „Es ist das Einfachste."
„Vor einem Monat hast du mich geheiratet, und jetzt hast du deine Meinung geändert, obwohl du nicht einen einzigen Tag mit mir zusammengelebt hast?"
„Es war falsch, dich zu heiraten, denn ich wusste ja, dass du es nicht wolltest. Jetzt gebe ich es zu ..."
„Aber es ist zu spät."
„Nein, das ist es nicht." Sie runzelte die Stirn, weil das Gespräch ganz anders verlief, als sie erwartet hatte. „Wir leben ja auch nicht zusammen ... oder so. Warum siehst du mich an, als wäre ich verrückt? Du willst nicht mit mir verheiratet sein."
Raul wurde rot, und seine Augen funkelten. „Ich habe mich aber damit abgefunden, dass ich mit dir verheiratet bin!"
„Ich glaube, wir haben beide etwas Besseres verdient als das." Ihr wurde immer unbehaglicher zu Mute. „Wir haben es überstürzt ..."
„Ich habe nichts überstürzt", fiel er ihr ins Wort. „Ich wollte es nur so schnell wie möglich hinter mich bringen."
„Ja, sicher ... Findest du, dass das eine Basis für eine Ehe ist?" erkundigte sie sich vorsichtig, da sie merkte, wie angespannt er war. „Ich dachte, du würdest dich freuen, wenn du deine Freiheit zurückbekommst."
„Freiheit ist ein Geisteszustand. Jetzt sehe ich keinen Grund, warum die Ehe mein Leben verändern sollte", erklärte er.
Polly schwieg verblüfft.
„Du bist meine Frau und die Mutter meines Sohnes. Daran solltest du dich langsam gewöhnen", fügte er hinzu und betrachtete sie herausfordernd.
Sie blinzelte und befeuchtete sich nervös mit der Zunge die Lippen. „Ich verstehe nicht..."
Raul ließ den Blick zu ihrem Mund schweifen. „Manchmal redest du zu viel, gatita
..."
„Was soll das heißen - gatita ?" Plötzlich fiel es ihr schwer, zu atmen.
„ Gatita ?" Er lachte und kam auf sie zu. „Es heißt ,Kätzchen'. Du erinnerst mich an ein süßes kleines Kätzchen, das manchmal die Krallen zeigt."
„Es ist also der Reiz des Neuen, stimmt's?" Sie versuchte, sich durch seine Nähe und seine Größe nicht einschüchtern zu lassen.
„Wenn ich wüsste, warum ich mich zu dir hingezogen fühle, wäre es wahrscheinlich nicht mehr der Fall", meinte er zynisch.
„Du fühlst dich nicht zu mir hingezogen ..."
Raul musterte sie amüsiert. „Meine Triebe habe ich vielleicht im Griff, aber ich weiß nicht, wie oft ich in Vermont beinah der Versuchung nachgegeben hätte, dich in die Arme zu nehmen. Ich dachte, es würde daran liegen, dass du ein Kind von mir erwartest ..."
„Ja?" Das Herz klopfte ihr bis zum Hals.
„Aber jetzt kenne ich den Grund dafür." Unvermittelt hob er die Hände und streifte ihr langsam den Morgenrock von den Schultern. „Ich habe mich unbewusst für dich entschieden, weil meine Hormone auf dich reagiert haben. Nachdem ich zu dieser Erkenntnis gelangt war, war mir auch klar, warum zwischen uns alles schief
Weitere Kostenlose Bücher