Komm mit mir nach Caracas
ein, dass sie völlig durcheinander war. Raul, zärtlich, lachend, ohne eine Spur von Kälte in den Augen. Und seine Besorgnis galt einzig dem Baby in ihrem Bauch. Sie war für ihn nie etwas anderes gewesen als ein menschlicher Brutkasten, der bei guter Laune und gesund erhalten werden musste.
„Du siehst furchtbar aus", informierte Raul sie angespannt. „Du hast abgenommen, und dabei warst du sowieso schon schlank..."
„Das kann man mir jetzt wohl nicht mehr vorwerfen."
„Deine Knöchel sind geschwollen."
Erschöpft beugte Polly den Kopf zurück. Mittlerweile war es ihr egal, wie sie in seinen Augen aussah. In Vermont hatte sie zehnmal besser ausgesehen, und doch hatte er sich nicht im Entferntesten zu ihr hingezogen gefühlt. Allerdings war es ihr erst im Nachhinein klar geworden. „Du wirst mein Baby nicht bekommen", warnte sie ihn.
„Niemals."
„Beruhige dich", wies er sie an. „Wenn du dich aufregst, schadest du dir nur."
„Meine Gesundheit kommt immer an erster Stelle, nicht?"
„Desde luego ... natürlich", bestätigte er, ohne zu zögern.
Polly zuckte zusammen, weil sie wieder einen stechenden Schmerz verspürte. Sie hörte, wie er ein Fach und anschließend eine Flasche öffnete und etwas in ein Glas goss, und erschrak, als er ihr dann ein kaltes Tuch auf die Stirn presste.
„Ich werde mich jetzt um dich kümmern. Du siehst richtig elend aus", bemerkte er missbilligend, während er sich über sie beugte. „Ich wollte dich anschreien und dich zum Zittern bringen. Aber wie könnte ich das jetzt noch tun?"
Mühsam öffnete sie die Augen und sah ihn an. In seinen Augen lag ein wütender und frustrierter Ausdruck, der im Widerspruch zu seiner netten Geste stand. Es fiel Raul sehr schwer, nett zu ihr zu sein, das war ihr klar.
„Du hast mich gelehrt zu hassen", flüsterte sie.
„Das Einzige, was uns verbindet, ist mein Baby. Etwas anderes gibt es nicht", bekräftigte er. „Wir werden erst miteinander reden, wenn du dich von deinen Gefühlen freimachst und dich auf den Vertrag besinnst."
Hass flammte in ihr auf. Und genau das brauchte sie, denn der Hass linderte den Schmerz, den Raul ihr zufügte.
„Mistkerl", brachte sie hervor. „Du verlogener, hinterhältiger Mistkerl..."
Genau in dem Moment stoppte die Limousine. Als der Chauffeur ausstieg, betrachtete Polly verblüfft das hell erleuchtete moderne Gebäude mit dem wunderschön angelegten Grundstück, vor dem er gehalten hatte. „Wo sind wir?" fragte sie ängstlich.
Eine Schwester in Tracht kam mit einem Rollstuhl aus dem Eingang.
Schweigend stieg Raul aus und ging um dem Wagen herum, um die Tür selbst zu öffnen.
„Du brauchst medizinische Betreuung", erklärte er.
Entsetzt sah Polly ihn an. Auf Grund ihrer Recherchen in der Bibliothek wusste sie, dass er in dem Ruf stand, besonders rücksichtslos zu sein. „Ich lasse mich nicht von dir in die Klapsmühle sperren!" rief sie in Panik.
„Deine Fantasie geht mit dir durch, chica. Ich würde der Mutter meines Kindes niemals Schaden zufügen. Und mach ja keine Szene, denn mir geht es nur um deine Gesundheit!" warnte er sie scharf, während er sich herunterbeugte und sie aus dem Wagen hob.
„Der Rollstuhl, Sir", verkündete die Schwester.
„Sie ist ganz leicht. Ich trage sie." Er ging mit ihr durch die Tür, die sich automatisch öffnete. Die Mutter seines Kindes. Das Stichwort für Rücksichtnahme und Zurückhaltung, überlegte Polly bitter. Schließlich bestand die Gefahr, dass der menschliche Brutkasten versagte. Da sie sich jedoch so elend fühlte, dass ihr alles vor den Augen verschwamm, barg sie den Kopf an Rauls Schulter.
„Ich hasse dich", murmelte sie dabei.
„Du kannst gar nicht hassen", tat er ihre Worte ab, während ein grauhaariger, älterer Mann in einem weißen Kittel auf sie zukam.
Raul unterhielt sich auf Spanisch mit ihm, und der Arzt führte sie in ein elegantes Sprechzimmer im Erdgeschoss.
„Warum spricht niemand Englisch? Wir sind doch in London", beschwerte sich Polly.
„Tut mir Leid. Rodney Bevan hat viele Jahre in einer meiner Kliniken in Venezuela gearbeitet. Auf Spanisch kann ich mich besser verständigen." Vorsichtig legte Raul sie auf eine Untersuchungsliege.
„Geh weg", drängte sie ihn.
Doch erst als der Arzt etwas auf Spanisch zu ihm sagte, verließ Raul den Raum und schloss die Tür hinter sich.
„Was haben Sie zu ihm gesagt?" erkundigte sie sich verblüfft.
Während die Schwester, die ihnen ebenfalls gefolgt war, zu ihr kam,
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