Komm, suesser Tod
gleich versucht, über Funk Hilfe zu rufen. Aber natürlich, statt daß sie auf den einzigen Knopf auf dem Mikro gedrückt hätte, hat sie vor Ungeduld und Zorn gleich das Kabel herausgerissen.
"Sobald ich daheim bin, werde ich mich über Sie beschweren", hat sie geflucht.
"Ja, Frau Rupprechter."
"Wo ist überhaupt Ihr Kollege?"
"Tot, Frau Rupprechter."
Das hat er aber jetzt nur gesagt, um sie zu erschrecken. Nur blöd, daß er selber darüber mehr erschrocken ist als die Alte.
Wie er sie dann endlich losgeworden ist, hat der Brenner einrücken und ein neues Funkmikro abholen müssen.
In der Zentrale haben sie von sich aus nichts vom kleinen Berti gesagt, und er hat auch nicht erwähnt, daß er verschwunden ist. Er hat gehofft, daß er halbwegs gemütliche Einsätze kriegt, wo er nebenbei ein bißchen nach dem Berti suchen kann. Aber wie es der Teufel so haben will, eine Einsatzmäßige nach der anderen.
Und gegen Abend dann eine Fahrt, über der er den kleinen Berti fast vollkommen vergessen hätte.
Die Frau ist ihm gleich so bekannt vorgekommen. Obwohl das Alter sie natürlich verändert hat. Und der Krebs hat sie noch mehr verändert. Und was den Brenner alles verändert hat, das hat er lieber gar nicht wissen wollen.
Trotzdem haben die beiden sich fast gleichzeitig erkannt.
Nicht sofort, sondern zuerst einmal erschrocken wegschauen, und dann doch wieder hinschnuppern, und dann wieder wegschauen, und dann ein bißchen lächeln und dann gleichzeitig: "Sind Sie -?" und dann verlegen lachen über das "Sie", obwohl man sich doch einmal ewige Liebe geschworen hat im Gymnasium von Puntigam.
"Die Klara", hat der Brenner geschmunzelt.
Und die Klara hat ihre Augenbraue auf genau dieselbe affektierte Weise hochgezogen, wie es dem Brenner schon damals immer so imponiert hat.
Und damit es nicht vor lauter Schmunzeln und Augenbrauenhochziehen auf einmal noch gefühlsmäßig wird, hat er schnell gesagt: "Dich hat es also auch nach Wien verschlagen."
"Schon vor 28 Jahren."
Vor 28 Jahren bist du ja noch in den Puntigamer Kindergarten gegangen. Oder: Bist du schon im Mutterbauch nach Wien übersiedelt? Oder: Haben sie dich beim Volksschulausflug vergessen? Oder was man da so alles sagen könnte.
Aber vielleicht doch lieber keinen Scherz über das Alter machen, wenn du einen Menschen gerade zur Krebstherapie fährst. "28 Jahre schon? Bist du zum Studieren nach Wien?"
"Ja. Und du? Ich habe geglaubt, du bist bei der Polizei gelandet?"
"Ja, bauchgelandet."
Hoch die Augenbraue. "Wie lange warst du dabei?"
"Neunzehn Jahre."
"Neunzehn Jahre? Hast du schon im Kindergarten angefangen?"
Ich möchte nicht sagen, daß er sich auf der Stelle wieder in die Klara verliebt hat. Aber er hat auf der Stelle wieder gewußt, was ihm damals so an ihr gefallen hat. Weil sein ganzes Leben hat er keine Frau mehr gefunden, mit der so gut der Schmäh gerannt ist wie mit der Klara damals im Puntigamer Gymnasium.
Obwohl sie aus bester Familie gewesen ist, wo man normalerweise sagen müßte, paßt nicht ganz mit dem Brenner seiner Herkunft zusammen, humormäßig.
Aber andererseits waren die beiden ja aus Puntigam, wo das Bier herkommt. Und die Klara mitten aus der Bierfamilie. Und Bierfamilie vielleicht humormäßig doch nicht so weit von den einfachen Leuten entfernt.
Obwohl sich die Familie von der Klara wirklich bemüht hat, daß sie den Hopfengeruch möglichst los wird. Feine Erziehung und alles. Nur daß es die Klara in dem Schweizer Internat nicht lange ausgehalten hat. Aber sie hat auch daheim in einem Bach-Chor gesungen, die hat zweimal in der Woche zur Probe müssen. Und über den Musikgeschmack vom Brenner hat sie damals natürlich schon ein bißchen das feine Biernäschen gerümpft.
Aber sonst muß ich wirklich sagen. Du wirst nicht leicht einen Menschen finden, der sich so wenig eingebildet hat wie die Klara. Auf das Geld schon gar nicht. Und sogar bei der Musik, möchte ich sagen, ist es mehr dem Brenner seine Überempfindlichkeit gewesen mit seinem ewigen Jimi Hendrix als der Klara ihre Einbildung.
"Und, was hast du so gemacht in den 28 Jahren in Wien?"
"Ich bin Musiklehrerin in einem Gymnasium."
"Das hättest du aber nicht nötig."
Die Klara hat gelächelt. Du weißt schon, dieses gewisse Lächeln, das die geldigen Leute kriegen, wenn ihnen ein armer Schlucker zu verstehen gibt: Du mit deinem Geld kannst keine Probleme haben.
Dem Brenner ist es gleich peinlich gewesen, daß es nach drei Jahrzehnten keine drei
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