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Komm, suesser Tod

Komm, suesser Tod

Titel: Komm, suesser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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bestimmte Gänsehautgefühl bekommen hat, das man ab einem bestimmten Mannesalter eigentlich als unangenehm empfindet, weil Gefühl und alles. Und dann hat sie gesagt: "Du hast also immer noch diese Gewohnheit. Man braucht nur an den Text denken, der zu deinem Gepfeife gehört, und schon weiß man, wo dich der Schuh drückt."
    "Hab ich das in Puntigam auch schon gehabt?"
    Die Klara hat die Lippen gespitzt. Der Brenner hat schon geglaubt, sie will ihm so einen herablassenden Abgeklärte-Frauen-Kuß auf die Wange geben. Aber sie hat nur gepfiffen.
    "Was pfeifst du da?" hat er gefragt. Er hat es zuerst nicht erkannt, weil sie hat die Melodie natürlich so richtig gepfiffen, daß sie vor lauter richtig fast nicht zum Wiedererkennen war.
    Und jetzt hat die Klara mit ihrer Stimme, die von den Medikamenten ein bißchen angegriffen war, leise gesungen: "Komm, sühüßes Kreuz."
    "Komm, süßer Tod", hat der Brenner sie korrigiert.
    Aber die Klara hat eine Kassette geholt und es ihm vorgespielt, und natürlich: Komm, süßes Kreuz. Da hat der Brenner in seiner Jugend doch zuviel Jimi Hendrix und zu wenig Matthäuspassion gehorcht.
    "Du hast mir das einmal auf eine Kassette aufgenommen."
    "Ich weiß", hat die Klara gelächelt.
    "Und seit ich dich wiedergesehen habe, geht mir die Melodie nicht mehr aus dem Kopf. Ich hab sogar die Kassette bei mir überall gesucht, so hast du mich erschreckt mit deiner Krankheit."
    "Da hättest du lange suchen können", hat die Klara gegrinst.
    "Das ist nämlich die Kassette", hat sie auf die Anlage gedeutet.
    Weil oft legt man sich im Leben gewisse Dinge ein bißchen zurecht, damit sie nicht so schmerzlich sind wie die ungeschminkte Wahrheit. Das ist eigentlich nur menschlich, einziges Problem: Man fängt mit der Zeit an, wirklich an die geschminkte Version zu glauben.
    Aber jetzt ist es dem Brenner natürlich wieder eingefallen, nach fast drei Jahrzehnten. Daß er die Klara damals nicht wegen der Miss Busen verlassen hat. Sondern daß die Klara ihn hinausgeworfen hat, nachdem er die Kassette mit ihrer eigenen Choraufnahme, die sie in wochenlanger Kleinarbeit für ihn zusammengestellt hat, zum drittenmal bei ihr in der Wohnung vergessen hat.
    Weil für den Brenner ist ja der Bach-Wahn von der Klara immer ein bißchen ein Vorwand gewesen, praktisch: Gehen wir ins Zimmer, Matthäuspassion horchen.
    "Das ist übrigens gar nicht die Original-Matthäuspassion", hat die Klara erklärt. "Wir haben damals natürlich nur Ausschnitte gesungen. Dafür haben wir bei
Haupt voll Blut und Wunden
alle Strophen von dem Barockgedicht gesungen, die in der Matthäuspassion gar nicht vorkommen." Das hat den Brenner jetzt weniger interessiert. Andererseits, großzügig von der Klara, daß sie so elegant von der peinlichen Geschichte ablenkt.
    Wie der Kaffee fertig war, hat der Brenner gesagt: "Dein Bach wird mir auch nicht helfen, daß ich den Mörder finde. Und ich habe nur noch ungefähr vierzehn Stunden Zeit. Weil dann werden sie den Rettungsbündler im Keller vom
Golden Heart
finden, und dann kann ich froh sein, wenn sie mich nicht eigenhändig totschlagen."
    "Weißt du, auf was ich durch meine Krankheit gekommen bin?"
    "Und ich hab geglaubt, du bist endlich einmal jemand, der nicht durch seine Krankheit auf was gekommen ist", hat der Brenner ein bißchen grob getan. "Du wirst es nicht glauben. Als Rettungsfahrer triffst du praktisch nur Philosophen, die auf irgendwas gekommen sind. Wieso fängt nicht einmal einer zum Denken an, solange er noch gesund ist?"
    "Ich hab geglaubt, du bist es, der hier einen Mörder finden will", hat ihn die Klara auf den Boden zurückgeholt.
    Sie hat ihnen zwei Tassen eingeschenkt, und damit sind sie wieder ins Wohnzimmer hinüber.
    "Wie der Arzt mir das mit den 50 Prozent gesagt hat, da hab ich viel über diese Zahl nachgedacht. 50 Prozent. Die Hälfte.
    Eigentlich ganz einfach. Mir ist dabei wieder ein Spiel eingefallen, das ich mir als Studentin einmal ausgedacht habe."
    "Das hast du dir schon in der Schule ausgedacht. Wie ist das gegangen? Man täuscht sich im Leben öfter als 50 Prozent oder so?"
    "Du hast recht, es muß wirklich schon im Gymnasium gewesen sein. Solche Gedanken hat man eigentlich nur in der Pubertät."
    "Oder wenn man um drei in der Früh in die Pubertät zurückfällt."
    "Damals ist es mir oft so gegangen, daß gerade die Leute, die mir am Anfang recht unsympathisch waren, später meine besten Freunde geworden sind. Und andere, die mir auf Anhieb gefallen

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