Komm, suesser Tod
der Brenner gesagt.
Interessant! Normalerweise hat der Brenner nie "grüß Gott" gesagt. Immer "guten Tag". Das hat er sich mit fünfzehn oder sechzehn Jahren in einer Puntigamer Trotzphase angewöhnt, und seither nur mehr "guten Tag". Und jetzt sagt er auf einmal zum erstenmal seit dreißig Jahren "grüß Gott".
Da sieht man, wie weit es her ist mit dem Trotz. Kaum daß der liebe Gott ein bißchen die Rute ins Fenster stellt, ein bißchen die Querschnittlähmung heraushängen läßt, ein bißchen herüberzwinkert: Da, schau her, so ein gottverdammter Krüppel könntest du auch sein, schon spült es dir wieder das "Grüß Gott" herauf wie einem besoffenen Schläger die Burenwurst.
Man möchte zwar glauben, in den vergangenen Monaten bei der Rettung hätte der Brenner genug Krankheit und Elend gesehen, daß ihn so ein Anblick nicht mehr schockieren kann.
Aber nichts da. Solange du der Fahrer bist und der andere der Krüppel, schreckt es dich nicht richtig. Aber wenn natürlich der arme Hund dein eigener Kollege ist, wieder vollkommen andere Situation. Und so ist eben dem Brenner das "Grüß Gott" herausgerutscht. Ich finde, so schlimm ist es auch wieder nicht.
Daß der Lungauer darauf nichts erwidert hat, hat den Brenner nicht gewundert. Weil er hat nicht ausgesehen wie jemand, der überhaupt noch reden kann, da hat der Brenner der Angelika recht geben müssen. Der Kopf ist seitlich auf seiner rechten Schulter gelegen, und ein dünner Speichelfaden ist ununterbrochen aus seinem Mundwinkel gelaufen. Das eine Aug kaputt, das andere um so starrer. Da ist man trotz der Katheterflasche, die seitlich am Rollstuhl gehängt ist, nicht auf die Idee verfallen, daß hier gerade ein Spitzensportler seine Dopingprobe abgibt.
Aber wie sich der Brenner schon wieder der Mutter zuwenden will, bemerkt er, daß der Lungauer ganz langsam, Zentimeter für Zentimeter seinen rechten Arm hebt und nach einer Ewigkeit dem Brenner die Hand hinstreckt.
"Wenn ich ihn treffe", hat der Lungauer stockend herausgewürgt. Es ist nicht leicht zu verstehen gewesen. Der Brenner hat ein paar Sekunden gebraucht, bis er sich die Laute zusammengesucht hat. Aber dann natürlich: Wenn ich ihn treffe!
Der Lungauer hat gar nicht so undeutlich gesprochen. Es war nur, daß der Brenner es nicht hat wahrhaben wollen, daß der Behinderte ihn auf die Schaufel nimmt. Daß einer, der wirklich gute Chancen hat, den lieben Gott bald einmal zu treffen, sich über das feige "Grüß Gott" von einem Gesunden lustig macht.
Aber es ist schon wahr: Man muß ein kerngesunder Mensch sein, damit man so ein richtiger Feigling sein kann. Obwohl ich da zur Verteidigung vom Brenner sagen muß: Der Lungauer hat den Vorteil gehabt, daß er die ganze Zeit behindert war, und für den Brenner war es doch eine neue Situation, auf die er sich erst hat einstellen müssen.
"Der Herr Brenner ist gekommen wegen der Irmi!" hat die Mutter ihrem Sohn wieder laut und deutlich auseinandergelegt.
"Weiß ich schon."
"Sie wissen, was passiert ist?" hat der Brenner ihn gefragt, nicht so laut wie die Mutter, aber doch viel lauter, als er sonst geredet hat.
Der Lungauer hat ein bißchen den Kopf auf der Schulter hin und her geruckt, weil das ist seine Art von Nicken gewesen, und dann hat er gesagt: "Aus dem Lampenschirm."
"Fernseher", hat die Mutter geflüstert. "Die Leute glauben, daß er geistig behindert ist", hat sie hastig gezischt, als hätte sie die Hoffnung: Wenn ich schnell rede, versteht er mich nicht.
"Die Ärzte haben aber gesagt, er ist geistig nicht behindert. Er ist vollkommen normal. Er kriegt alles mit. Wie vor dem Unfall.
Nur das Sprachzentrum in seinem Gehirn ist beschädigt worden.
Der Doktor hat es mir auf einem Röntgenbild gezeigt, wo der Schraubenzieher sein Sprachzentrum zerstört hat. Aber es ist nicht geistig. Es ist nur - es hat einen eigenen Namen."
"Aphasie", hat der Behinderte im Rollstuhl genuschelt.
"Sehen Sie, er kriegt alles mit", hat die Mutter geseufzt, als wäre es ihr gar nicht recht. "Er versteht es sogar besser als ich.
Aphasie. Wissen Sie, was das ist?"
"Ich hab einmal einen Epileptiker gefahren. Der hat das auch gehabt", hat sich der Brenner erinnert. "Er hat immer Kranfahrer zu mir gesagt. Ich glaube, weil Kräne gelb sind, und die Rettungsautos früher auch gelb waren."
"Er verwechselt nur die Wörter", hat die Mutter nervös genickt. "Aber er denkt ganz normal. Nur die Wörter vertauscht er."
Der Lungauer hat den beiden interessiert
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