Komm wieder zurück: Roman
sich gerade vor Entsetzen.
Sie starrt mit ebenso ungläubiger Miene auf die Zeitung, und ihm geht auf, dass es nichts mehr mit ihm zu tun hat. Sie hebt den Finger, wie um zu sagen:
Eine Sekunde, ich sags dir gleich
.
Seine laute Stimme hallt noch wider, und er denkt an seine Tochter mit den großen Augen, die mit ihren Patschhändchen auf den Hochstuhl klatscht, um das Gekabbel der Eltern zu durchdringen. Schuldgefühle schnüren ihm die Kehle zu.
»Es kann nicht mehr als einen Calder Walsh in der Gegend um Orlando geben, oder?«, fragt Tess.
Ihm schießt das Blut in den Kopf. Seine Wangen glühen. Seine Beine sind schwer. Wie ist es möglich, dass sie Calders Namen ausspricht, hier und jetzt, in ihrer Küche, sechshundertvierzig Kilometer und sechs Monate entfernt von seiner Vergangenheit? Er springt auf und greift nach den Cheerios, als hätte er plötzlich Hunger bekommen. Er wird langsamer, greift sich die Packung und hält sie sich an die Brust. »Das glaube ich kaum. Warum? Was gibts denn?«
»Hier steht, dass ein Mann namens Calder Walsh wegen Mordes verhaftet worden ist.«
Es bleibt ihm nicht genügend Zeit, um das in seinem Kopf zu sortieren, bis Tess hinzufügt: »Er ist es! Hier steht: ›Bruder der Singer-Songwriterin Annie Walsh.‹« Sie gafft jetzt, sie verzieht den Unterkiefer gerade genug, um die Genugtuung zu verraten, die sie verbergen will.
Sieh dir dein altes Leben an
, sagt ihre Miene.
Gott sei Dank bist du hier bei mir
.
Owen ist auf halbem Weg zum Tisch stehen geblieben. Jetzt lässt sie
ihren
Namen fallen. Er will etwas sagen, dann klappt er den Mund wieder zu, so fest, dass ihm nichts herausrutschen kann.
Tess liest aus der Mitte des Artikels. »›… ein brutaler Mord geschah heute vor einer Woche in der Nähe einer Landstraßenkneipe … Hinweise,die die Detectives der Mordkommission zu Walsh, den Bruder der Singer-Songwriterin Annie Walsh führten.‹ … Halt«, sagt sie. »Lass mich alles von Anfang an lesen.«
Er stellt die Packung Cheerios auf die Tischplatte am Hochstuhl, greift sich ans Ohrläppchen und lässt wieder los, während er durch die Glastür sieht, wie ein Schwarm Möwen kreuz und quer auffliegt und sich auf das Brötchen stürzt, das ein einsamer Spaziergänger an diesem Sonntagmorgen am Strand isst.
Owen wird übel. Er lässt sich wieder auf den Stuhl sinken. Seine Haut ist warm und prickelt. Er versucht, die richtigen Worte zu finden. Worte, die nicht zu viel preisgeben. Zwei Zeilen aus Annies Songs gehen ihm durch den Kopf.
This feels like falling. Falling off the edge of the world.
Seine Arme beginnen zu jucken. Jetzt auch seine Kopfhaut. Jemand ist tot. Calder ist schuld daran.
»Wen zum Teufel soll er getötet haben?«, brüllt er.
»Eine Sekunde«, sagt sie, leiser jetzt, in einem Ton, der ihn hindert, ihr die Zeitung aus den warmen Händen zu reißen.
»Einen gewissen Magnus Jørgenson. Einen Mann aus Dänemark. Wo hab ich den Namen schon mal gehört?«
Owen schnellt hoch und drückt auf den roten Knopf der Kaffeemaschine. Er will sich ans Ohr fassen und fegt versehentlich die Cheerios vom Tisch, die sich über den Fußboden ergießen.
Tess beobachtet ihn wortlos. »Ich glaube, ich habe über das Haus von diesem Mann letztes Jahr was geschrieben«, bemerkt sie endlich. Sie lehnt sich auf dem Stuhl zurück und greift ihren Bauch mit den Armen, als wäre es ein Kickball, den sie so schießen will, dass ihn keiner hält. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass er es ist – beziehungsweise war«, korrigiert sie sich.
Owen lässt sein Ohr los und grapscht sich die Zeitung vom Tisch.
»Hier steht, er wurde bis zur Unkenntlichkeit entstellt«, sagt sie, bevor Owen noch Gelegenheit hat, es selbst zu lesen.
DREI
Annie zündet ein Feuer an, damit die Wärme sie empfängt, wenn sie aus dem Hain zurückkehrt. Sie mummelt sich in mehrere Lagen Wolle ein und tritt auf die Veranda hinaus. Was für eine Erleichterung, zu dieser Jahreszeit hinauszusehen und den Dunstschleier aus schwärmenden Mücken endlich in Baumstümpfen und Erdhöhlen versteckt zu wissen, wo sie Schlangen und Erdhörnchen statt Annie belästigen. Die Tage sind jetzt so anders, als wäre sie längst aus Zentralflorida weggezogen.
Der Winsor-See kräuselt sich und schlägt an aufgeweichte Ufer. Ein Blaureiher watet im seichten Wasser und spießt mit dem Schnabel einen Frosch auf. Er verschlingt ihn ganz, dann springt er in die Luft und verschwindet hinter einer weißen Wand zu dem
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