Komm
Geschichte, hat sie gesagt.
Das ist ja das Seltsame.
Und wenn es nun die Perspektive ist, die von Petra Vinter stammt? Die Einsicht?
Man kann nicht Besitzer eines Kontextes sein. Die Journalisten würden laut lachen, wenn er so etwas sagte. Das ist der Markt. Wenn der Autor das besser kapiert als Petra Vinter, dann ist es Petra Vinters Problem. Der Markt entscheidet, und er weiß, dass der Markt entscheiden wird, dass sich das Buch des Autors verkaufen wird, und zwar sehr gut verkaufen wird. Das hat der Autor entschieden. Das ist eindeutig. Ja, es ist tatsächlich nicht zu übersehen, wenn man es erst einmal erkannt hat. Aber das macht nichts. Die Welt will so etwas haben. Und wenn es auch eine Welt ist, die er nicht haben will, was kann er daran ändern?
So ist die Welt.
Man muss praktisch sein. Sich anpassen. Alles andere ist für Idioten.
Für Verlierer.
Er schlägt das Manuskript zu, schiebt es an den Rand des Tisches.
Im offenen Kamin glühte das halb ausgebrannte Holz. Die Flasche Armagnac war leer. Petra Vinters Stimme wurde zu einem Flüstern.
»Ich habe der Polizei nie erzählt, dass ich vier von ihnen erkannt habe«, sagt sie. »Als ich mich so weit erholt hatte, dass ich sprechen konnte, war klar, dass die Opposition die Wahl gewonnen hatte. Maktuba war Morenzaos Möglichkeit, nicht meine.« Sie spricht schnell, als ob sie etwas überspränge, aber er kann sich genau an ihre Worte erinnern. »José war tot, das war meine Schuld. Die vier gehörten zu Maktubas Leibgarde, Maktuba wäre beschuldigt worden, sie dazu verleitet zu haben. Ich wusste, dass er nicht dahinter stand, aber man hätte ihm die Schuld gegeben. Chaos wäre die Folge gewesen, vielleicht hätte die Wahl wiederholt werden müssen, wer weiß …?«
Petra Vinter steht auf und geht zum Kamin.
»Es waren dreiundzwanzig.«
Eine Zeitlang herrscht Schweigen. Weder er noch der Autor sagt etwas. Dann dreht sich Petra Vinter zu ihnen um, sie lächelt.
»In der Handlung des Einzelnen liegt der Keim zu den Handlungen vieler. Ich habe nie davon erzählt.«
Auch die Heldin in dem Roman des Autors sagt nicht, dass sie jemanden erkannt hat. Aber hier wird die Pointe genau andersherum verwendet. Weil sie nie davon erzählt, können der neue Präsident und seine Kumpane auf Frauenraub und Landraub gehen.
XXXVII
W enn ein Künstler anderen von seiner Geschichte oder seiner Idee erzählt, haben andere das Recht, sie zu verwenden. Sonst müsste man eine Art Ideenkontrolle oder -polizei einführen, was unmöglich ist. Und selbst wenn es möglich wäre, wo sollte man die Grenze ziehen? Bei einer Idee? Einem Ereignis? Einer Passage? Einem Satz?
Er löscht den Absatz. Irgendetwas daran ist nicht wahr. Schreibt stattdessen:
Einem anderen eine Idee oder eine Geschichte zu stehlen macht einen zum Dieb. In den meisten Welten würde man dafür verurteilt und bestraft. In der Welt der Kunst …
Picasso? Joseph Heller? Dan Brown?
… kommen die meisten ungeschoren davon. Nicht nur ist es schwer zu beweisen, nein, auch wenn jemand erwiesenermaßen eine Idee gestohlen hat, kommt es in hohem Maße auf die Ausführung an.
Stimmt das?
Und die Ausführung kann nicht gestohlen werden.
Wer hat die Verantwortung, wenn er sie nicht übernimmt?
Was ist ein Roman im Quadrat?
Was ist das Viereck Autor, Verlag, Vermittler, Leser im Quadrat?
Liegt es immer in der Verantwortung anderer, dass die Welt so aussieht, wie sie aussieht?
Die Welt ist, wie sie ist!
Wie wird die Welt, wie sie ist?
Man ist genötigt, praktisch zu sein!
Sich zu arrangieren.
Ist man das?
Schweig, Petra Vinter.
Was ist der Markt im Quadrat?
Was bist du im Quadrat?
Halt den Mund, Petra Vinter.
Das Buch wird sich nicht halten. Die Welt wird dadurch nichts verlieren. Der Verlag wird etwas Geld verlieren. Er selbst wird etwas Geld verlieren. Vielleicht einen Job? Eine Ehefrau? Wo liegt der Kompromiss?
Er kann immer einen anderen Job finden. Etwa nicht? Eine andere Frau? Einen anderen Schwiegervater … Wo verläuft die Grenze?
Das Quadrat von eins ist eins, sagt Petra Vinter.
Es ist immer deine Verantwortung.
Halt den Mund!
Was ist das für eine Welt, von der Petra Vinter spricht? Wenn alle die Verantwortung übernehmen, bedeutet es, dass alle ständig ein Fragezeichen setzen. Hinter alles. Wie sähe die Welt dann aus?
Wir müssen überleben, oder?
Ist das Moralisieren oder bloße
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