Kommissar Morry - Der Moerder von Richmond Hill
wissen doch, daß es nicht erlaubt ist, den Zündschlüssel steckenzulassen? Das ist Verleitung zum Diebstahl."
„Tut mir leid, Konstabler. Um ehrlich zu sein — ich verspürte ein menschliches Rühren und habe mich nur mal kurz seitwärts in die Büsche geschlagen. Ich konnte doch nicht damit rechnen, daß um diese Zeit..."
„Na ja, schon gut", erwiderte der Konstabler und gab ihm den Schlüssel zurück. „Das nächste Mal passen Sie gefälligst besser auf!"
„Das verspreche ich Ihnen."
„Scheußliches Wetter, was?"
„Zum Trübsinnigwerden!"
„Wohnen Sie hier in der Gegend?"
„Nein. Ich war oben auf dem Hügel. Bei Mr. Carter."
„Ach so. Imponierendes Haus. Was ich nicht ganz verstehe, ist, wie Sie dann in diese Straße kommen?"
„Wir haben ein bißchen getrunken. Ich kann nicht viel vertragen. Es war mir nicht bekommen.
Mein Magen streikte. Darum stellte ich den Wagen hier ab und. .
„Sie wissen, daß Sie nicht fahren dürfen, wenn Sie unter Alkoholeinfluß stehen?"
„Ich bin schon wieder ganz nüchtern, Konstabler."
Der Polizist schaute den Sprecher zweifelnd an.
„Sie sehen ziemlich blaß aus."
„Ich sagte Ihnen ja, daß mir schlecht war. Aber jetzt fühle ich mich wieder völlig wohl."
„Wollen Sie nicht lieber ein Taxi nehmen?"
„Nicht nötig, vielen Dank. Wenn Sie Wert darauf legen, hauche ich Sie gern an."
„Schon gut. Sie sehen nicht aus wie ein Betrunkener. Also verschwinden Sie schon!"
„In Ordnung, Konstabler. Gute Nacht!"
„Gute Nacht, Sir."
Nach dem Anfahren schaute der Mann am Lenkrad in den Rückblickspiegel. Er sah, daß der Polizist ein Notizbuch hervorgezogen hatte. Er notierte also die Kennummer des Wagens. —- Verständlich, denn man kann nie wissen.. . nicht wahr, Mister, dachte der Mann im Wagen und grinste erschöpft. Seine Hände zitterten. Er hatte ein Gefühl, als sei er mit knapper Mühe einem Nervenzusammenbruch entronnen. Wie gut, daß ich die Schilder ausgewechselt habe, dachte er weiter. Dann wurde er ernst. Er sagte sich: Jetzt kannten sie ihn. Sie kannten den Mörder!
Morgen früh würde der Konstabler eine genaue Beschreibung von ihm zu geben versuchen. Aber was ist in diesem Falle schon eine Beschreibung. — Hohe Stirn, voller kräftiger Mund, energisches Kinn, dunkle Augen... das alles sind Merkmale, die auf Millionen Menschen zutreffen. Ausgerechnet ihn unter den Millionen ähnlicher Gesichter herauszufinden — das soll verteufelt schwerfallen!
*
„Setzen Sie sich, Kommissar."
„Vielen Dank."
Jonathan Carter wartete höflich, bis der Besucher in dem bequemen Armlehnstuhl Platz genommen hatte. Erst dann ließ er sich hinter seinem Schreibtisch nieder. Er ergriff einen Bleistift und drehte ihn zwischen den Fingern.
„Habe ich richtig verstanden, als Sie mir erklärten, von der Mordkommission zu kommen?" fragte er.
Der Kommissar nickte. Er legte ein Bein über das andere und faltete die Hände im Schoß. Er lächelte dabei und sah aus wie ein Mensch, der den sogenannten Ernst des Lebens als höchst überflüssige Störung empfindet.
Carter fuhr fort: „Da Sie mich zu dieser frühen Stunde im Büro aufsuchen, darf ich wohl annehmen, daß es sich um etwas Wichtiges handelt?"
„So ist es", bestätigte der Kommissar.
Er hatte den schmalen, wohlgeformten Kopf mit dem kräftigen, energischen Kinn leicht zurückgelegt. Seine aufmerksamen Augen musterten Carter ebenso unaufdringlich wie genau.
„Handelt es sich um Julia?" erkundigte sich Carter rasch.
„Was veranlaßt Sie, im Zusammenhang mit meinem Besuch an Ihre Nichte zu denken?"
„Sie war gestern bei mir. Es gab einige sehr unerfreuliche, höchst geheimnisvolle Zwischenfälle. Wir sahen uns genötigt, die Polizei zu alarmieren. Ich nehme an, Sie sind davon unterrichtet?"
„Ja. Darf ich erfahren, ob Sie in sehr engen verwandtschaftlichen Beziehungen zu Ihrer Nichte standen?"
„Sie sprechen in der Vergangenheitsform", meinte Carter besorgt. „Ist Julia etwas zugestoßen?"
„Sie wurde ermordet, Mr. Carter."
Jonathan Carter legte den Bleistift aus den Händen. Seine Finger zitterten. Er schluckte und schaute den Kommissar ungläubig an.
„Ermordet? Im Hotel?"
„Wir fanden sie im Grundstück von Lord Cun- ningham. Das heißt, der Gärtner entdeckte sie gegen sieben Uhr morgens."
Carter warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Vor knapp zwei Stunden also. Als Julia in der Nacht das Haus verließ, war sie fest entschlossen, im ,Sir Raleigh' zu übernachten. Man
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