Kommissar Morry - Die Woelfe
Zahl aus. Nachdem sie noch etwa zehn Minuten lang telephoniert hatten, erschien endlich Sidney Romer auf der Bildfläche. In einer kleinen Mappe trug er seine Habseligkeiten. Ein Oberarzt ging an seiner Seite.
„Ich gratuliere“, sagte William Farrington mit gezwungenem Lächeln. „Nun endlich haben wir es geschafft, Mr. Romer. Sie werden jetzt sofort mit mir nach London fahren.“
Er wartete vergebens auf ein glückliches Lachen. Sidney Romer blieb ernst. Das fahle Gesicht, das die dumpfe Luft hinter diesen Mauern geatmet hatte, blieb unbewegt. Nur in den schwarzen Augen lebte ein flackernder Glanz.
„Sie werden die Verantwortung für ihn tragen“, sagte der Oberarzt leise zu dem bekannten Rechtsanwalt. „Wir können ihn nur auf Probe entlassen. Er ist noch immer reizbar und von seltsamen Ideen erfüllt. Er will sich an jenen Leuten rächen, die ihn hierher brachten. Erst gestern hat er noch eine Liste von Personen aufgestellt, die er achtzehn Monate lang mit seinem Haß verfolgte. Hier ist das Verzeichnis, Mr. Farrington.“
William Farrington überflog hastig die Namen und steckte das Papier dann achtlos in die Tasche. Gleich darauf wanderten seine Blicke wieder zu Sidney Romer hin. Er sah deutlich die dünne, rote Narbe, die unmittelbar unter dem Haaransatz der linken Schläfe verlief. Sie stammte von einem furchtbaren Hieb, der Sidney Romer leicht das Leben hätte kosten können. Immerhin hatte der brutale Schlag ausgereicht, das Bewußtsein dieses einst so hoffnungsvollen jungen Mannes zu stören und seine Sinne zu trüben. Man hatte ihn damals schwerverletzt und völlig besinnungslos in diese Anstalt gebracht. Zur Untersuchung zuerst, dann zur Beobachtung, dann für dauernd. Achtzehn Monate waren eine lange Zeit. Sie hatten Sidney Romer vollkommen verändert.
„Können wir gehen?“, fragte William Farrington betreten.
„Warum nicht?“, sagte der Oberarzt. „Die Formalitäten sind erledigt. Unser Anstaltsarzt Dr. Monck wird jede Woche zweimal den Gesundheitszustand Mr. Römers überprüfen. Alles übrige müssen Sie selbst tun, Mr. Farrington. Versuchen Sie Ihren Mandanten behutsam in die neue Umgebung einzuführen. Auf Wiedersehen!“
William Farrington nahm seinen Schützling am Arm und zerrte ihn hastig aus der Kanzlei. Rasch schritt er mit ihm durch das Torgewölbe. Erst als die Mauern hinter ihm lagen, ging er langsamer. Er öffnete die Türen des modernen Wagens und drängte Sidney Romer auf den Vordersitz. Er selbst nahm am Steuer Platz. Nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte, löste er die Bremsen, ließ den Wagen langsam die Zufahrt hinunterrollen und bog dann auf die Landstraße nach London ein.
„Freuen Sie sich denn nicht, Mr. Romer?“, fragte er nach einer Weile. „Ich habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um Sie hier herauszuholen. Und nun machen Sie ein Gesicht, als würden Sie zum zweiten Mal in diese Anstalt eingeliefert.“
Sidney Romer sagte nichts. Auch jetzt blieb sein Gesicht bleich und starr. Nur die Narbe über seiner Schläfe glühte dunkel auf. Zwei, drei Meilen legte William Farrington schweigsam zurück, bis er die Unterhaltung wieder aufnahm. Er versuchte es mit den gütigsten Worten.
„Bei meinem vorletzten Besuch“, sagte er, „habe ich Ihnen mitgeteilt, daß Ihr Vater gestorben ist, Mr. Romer. Er hat Ihnen das Hotel am Kings Walk in Chelsea vererbt. Es ist ein großes Haus mit drei Speisesälen, fünf großen Klubräumen und vierzig Fremdenzimmern. Sie haben also keine Sorgen für die Zukunft. Das Hotel wird Sie gut ernähren.“
„Ich weiß es“, murmelte Sidney Romer ernst. „Man hat mir in der Verwaltung von dieser Erbschaft berichtet. Man hat mir auch gesagt, daß Sie das Hotel einstweilen für mich verwalteten.“
„No, das ist nicht ganz richtig“, lächelte William Farrington.
„Ich habe lediglich die Gelder vereinnahmt, die der Betrieb seit dem Tode Ihres Vaters abwarf. Das Haus selbst wird von einem Geschäftsführer geleitet. Der Mann heißt Clement Rembolt und scheint sehr tüchtig zu sein. Ich werde Sie nachher gleich mit ihm bekanntmachen.“
Das Interesse Sidney Romers war bereits wieder erloschen. Er starrte teilnahmslos durch die Windschutzscheibe. Sein sympathisches Gesicht war grau wie Asche. Wäre nicht der fanatische Glanz in den dunklen Augen gewesen, so hätte man ihn beinahe für einen Toten halten können.
„Die Liste, die Sie da anlegten, werde ich noch heute Abend verbrennen“, sagte William
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