Kommissar Morry - Die Woelfe
Saal.
„Was soll hier los sein?“, fragte er gedehnt. „Ist doch alles in Ordnung, oder nicht?“
„Hier lag er“, stammelte Sidney Romer und deutete auf eine bunte Perserbrücke, die von der Tür zu dem hufeisenförmigen Tisch hinlief. „Ich habe mich ganz sicher nicht getäuscht. Ich sah sein wächsernes Gesicht, seine toten Augen und das Blut, das aus einer Kopfwunde auf den Teppich . . .“
„Moment mal“, sagte der Sergeant und ging rasch auf die Perserbrücke zu. „Das Blut müßte ja wohl noch zu sehen sein, nicht wahr?“
Er beugte sich nieder und musterte den schmalen Teppich Zoll um Zoll. Er ließ das schwere Gewebe prüfend durch die Finger gleiten. Seine Augen tasteten jedes Stückchen ab.
„Nichts“, erklärte er schließlich achselzuckend. „Sie haben sich getäuscht, Sir. Anscheinend ängstigte Sie ein schwerer Traum. In Zukunft möchte ich Sie bitten, nicht gleich zur Polizei zu laufen. Wir haben Wichtigeres zu tun, als leere Säle zu besichtigen.“
Sprachs, tippte an den Helm und schritt steif und würdevoll aus dem großen Raum.
„Bringen Sie den Herrn hinunter“, sagte Sidney Romer müde zu dem Nachtportier. „Tut mir leid. Ich kann das alles selbst nicht begreifen.“
Der Lift summte nach unten. Kurz nachher war die Halle wieder erreicht. Der Sergeant drehte sich noch einmal um, bevor er auf die Drehtür zusteuerte.
„Seltsamer Mensch“, murmelte er verständnislos. „Leidet er öfter an solchen Halluzinationen?“
Der Portier blickte bedrückt vor sich hin. „Mr. Romer tut mir leid“, murmelte er mitfühlend. „Er wurde erst heute aus der Irrenanstalt Tootham entlassen. Anscheinend ist er noch immer nicht recht gesund.“
„Ah, jetzt verstehe ich alles“, brummte der Sergeant grinsend.
„Ich wünsche Ihnen viel Glück mit Ihrem neuen Chef. Bestimmt werden Sie noch manche Aufregungen mit ihm erleben. Dieser Scherz war sicherlich nur der Anfang. Das dicke Ende wird noch folgen. Man sollte solche Leute eben nicht entlassen. Sie sind in einer Anstalt am besten aufgehoben.“
„Vielleicht haben Sie recht, Sir“, raunte der Portier. „Der erste Tag, den Mr. Romer in Freiheit verbrachte, stand unter einem recht unglücklichen Stern.“
2
Als Sidney Romer am nächsten Morgen seine Wohnung verließ und mit dem Lift in die Halle hinunterfuhr, fühlte er sich unsicher und deprimiert. Obwohl ihm das Personal genauso höflich wie gestern begegnete, glaubte er ständig spöttische Blicke und schadenfrohe Gesichter auf sich gerichtet zu sehen. Das Hotel erschien ihm plötzlich noch schlimmer als seine vergitterte Behausung in der Anstalt Tootham. Dort war er wenigstens allein gewesen. Aber hier stand er im Mittelpunkt der Neugier. Jeder seiner Schritte wurde beobachtet. Jede Bewegung, jedes Mienenspiel wurde kontrolliert.
„Guten Morgen, Sir“, sagte der Geschäftsführer höflich. „Ich hoffe, Sie haben die erste Nacht in Ihrem eigenen Hause gut verbracht. Darf ich Sie in dieses Büro bitten? Ich habe es für Sie räumen lassen. Es steht Ihnen allein zur Verfügung. Bitte, treten Sie ein!“
„Gibt es etwas Besonderes?“, fragte Sidney Romer unruhig.
„Nein, Sir! Das nicht. Ich möchte Ihnen die Speisekarten für den heutigen Tag vorlegen. Sie sollen bestimmen, welche Gerichte gestrichen oder hinzugefügt werden sollen.“
„Machen Sie das allein“, stieß Sidney Romer hastig hervor. „Ich verlasse mich vollkommen auf Ihre Tüchtigkeit, Mr. Rembolt. Sie können jederzeit frei entscheiden.“
Er wollte sich eiligst aus dem Staub machen, aber in dieser Beziehung hatte er ausgesprochenes Pech. Ein schlanker, hochgewachsener Herr kam eben durch die Drehtür in die Halle. Schon im nächsten Moment stand er an der Seite Sidney Romers. Er blickte den neuen Hotelchef verlegen lächelnd an.
„Guten Tag, Mr. Romer“, sagte er und lüftete höflich den Hut.
„Sicher erinnern Sie sich noch an mich. Ich bin Charles Clay, der zweite Vorsitzende des Klubs, der seit Jahren Gastfreundschaft in Ihrem Hause genießt.“
Ja, Sidney Romer erinnerte sich. Es war merkwürdig: Immer wenn der Name dieses mysteriösen Klubs fiel, war mit ihm einfach nicht mehr zu reden. Er stierte Charles Clay finster an. „Was wollen Sie denn von mir?“, fragte er schroff. „Wenn Sie etwas Geschäftliches zu besprechen haben, so wenden Sie sich bitte an Mr. Rembolt. Er ist mein Geschäftsführer.“
„Nein, ich möchte persönlich mit Ihnen reden“, sagte Charles Clay bedrückt.
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