Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
Schau stahlen. Ab und zu ließ sich eine Libelle auf einem der Blätter nieder. Manchmal kam ein Frosch zum Sonnen oder zum Beutefang, aber meistens gingen die Frösche zwischen den Blättern im Wasser in Deckung. Sie selbst waren eine leichte Beute der Graureiher, die am anderen Ufer reglos wie steinerne Wächter im Schilf standen.
Meißner trank seinen Pinot Grigio und biss in das Tramezzino mit Parmaschinken auf Rucola. Es schmeckte göttlich, auch wenn das Brot bereits kalt war. Plötzlich kam ihm eine Melodie in den Sinn, die er früher auf dem Akkordeon gespielt hatte, und er hatte das Bild der tanzenden Frau im Gladiolenfeld vor Augen. War das auch heute gewesen? Ja, heute Morgen, auf dem Weg zur Arbeit. Aber er konnte das Bild nicht festhalten, denn darüber schob sich die junge Polin, die mit blutiger Nase in ihrem Bett im Klinikum lag, und die ältere Kolumbianerin mit dem schlecht gefärbten blonden Haar, die geweint hatte, als Kollege Winter die Tür zum Verhörzimmer absperrte. Es war schon ein komischer Job, den er sich da ausgesucht hatte. Er fühlte sich müde und erschöpft. Nicht körperlich, es war eher ein Gefühl, und es hatte etwas mit seiner Seele zu tun. Im Polizeialltag ging es ihnen nicht viel anders als den Ärzten und Schwestern im Krankenhaus. In der Routine und dem Stress des Jobs waren zu viel Seele, zu viel Mitgefühl und Mitleiden nur hinderlich, aber in der freien Zeit musste er sich ein bisschen um sich selbst kümmern, um nicht abzustumpfen oder kaputtzugehen. Er hatte Angst davor, roh und abgebrüht zu werden oder fett wie Stangelmayer, für den er plötzlich ein heftiges Mitgefühl empfand.
Die Fischerhütte, die er von seinem Großvater geerbt hatte, war sein Rückzugsort. Hier konnte er auftanken. Fast immer kam Meißner allein hierher. Carola hatte diesen Ort, die primitive Hütte, nicht gemocht. Kein Bad, kein Klo mit Spülung, eine unsichere Stromversorgung über eine kleine Photovoltaikanlage auf dem Dach und eine schwache Batterie im Schuppen. Sie konnte hier nach dem Joggen nicht richtig duschen, und das Altwasser mit seinen Pflanzen und den großen Fischen war ihr unheimlich gewesen. Aber muss ich denn in jedes Wasser hineinspringen können?, fragte sich der Kommissar. Das Flüsschen gehörte schließlich den Fischen, den Teichrosen, den Fröschen, den Libellen, dem Hecht und dem Graureiher. Meißner selbst war hier nur der Beobachter am Rande, der hinschaute, aber nicht eingriff, nicht handelte und nicht lenkte. Seinen Angelschein hatte er seit Jahren nicht mehr verlängert. Still auf dem Steg zu sitzen und nur zu schauen, das war genau der Ausgleich, den er nach einem Arbeitstag brauchte. Carola hatte das nie verstanden.
Ob die Gladiolenfrau wohl auch über den Steg hier tanzen würde, wenn sie ihn je entdeckte? Was war er doch nur für ein Träumer. Ein richtiger Romantiker. Wahrscheinlich wäre er auf dem Konservatorium doch besser aufgehoben gewesen als bei der Kripo.
Meißner blieb bis zum Sonnenuntergang auf dem Steg sitzen, dann erst packte er zusammen und fuhr in die Stadt zurück, in seine kleine vernachlässigte Wohnung.
ZWEI
Als er am nächsten Morgen zur Arbeit fuhr, konnte er es nicht vermeiden, zu dem Blumenfeld hinüberzusehen. Niemand war da, aber er hatte auch nichts anderes erwartet. Solche Momentaufnahmen konnte man nicht beliebig wiederholen, so war das nun mal im Leben. Und doch machte sich eine kleine Enttäuschung in ihm breit. Vielleicht sollte er doch einmal mit Fischer eine Kneipentour machen? Obwohl Fischers Milieu wahrscheinlich nicht gerade dazu geeignet war, Frauen kennenzulernen. Meißner wusste, wo die Russen verkehrten, wo die Türken in ihren Cafés saßen, wo die Animierclubs und Bars lagen, wo es ab und zu Probleme mit verbotenem Glücksspiel gab. Er wusste auch, wo die Schwulen ihre Treffpunkte hatten. Doch er hätte nicht sagen können, wo Leute wie er, nicht mehr ganz jung, hetero und wieder Single, sich trafen. Mit Sicherheit nicht an einsamen Fischerhütten am Donau-Altwasser. So viel stand schon mal fest.
Bin ich ein komischer Kauz geworden, ein einsamer Wolf, ein alternder Derrick, ein verschusselter Columbo?, fragte er sich, als er den Wagen an der Rückseite des Präsidiums parkte.
»Die Dolmetscherin ist da, ich hab sie zu dir raufgeschickt«, rief ihm Stangelmayer nach, als er an der Pforte vorbeiging.
»Okay, dann bring mir die Kolumbianer rauf.«
»Alle drei?«
»Zuerst den jüngeren Mann.«
Vor seinem Büro
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